Wanderungen durch die Mark Brandenburg
den
Freyja mit dem Schwert umgürtet, seinen Tee und
plauderte mit dem pastor loci, während dessen
Söhnlein, ein vierjähriger Blondkopf, mit Säbel und
Ulanencasquet auf der Freitreppe Wache stand. In
Paretz hatte der König unbedingte Stille; hier erquickte ihn jene heitere Geschäftigkeit, jener auf und
ab wogende, doch nie zudringliche Verkehr, der wohl
zerstreute, aber nicht störte.
Und diese heitere Geschäftigkeit, dieser nie rastende
Verkehr, sie sind dem Dorfe geblieben, ja mehr, sie
sind gewachsen. Freilich, wer sich ihrer freuen will,
darf nicht gerade Novembertage wählen, wie wir es
heute tun. Für unsern Zweck indes vielleicht die beste Beleuchtung.
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Tagüber war Regen. Nun hat sich mit Sonnenunter-
gang der Himmel geklärt, eine eiskalte Luft geht ü-
ber die Felder, das Wasser platscht in den breiten
Lachen, die wir durchfahren, und die Weidenzweige,
an denen noch einzelne Tropfen hängen, schlagen in
den Wagen hinein. Selbst das Abendrot, das zwi-
schen geballtem Gewölk steht, hat nichts Heiteres.
Fröstelnd fahren wir in die Falkenrehder Dorfstraße
ein.
»Es wird heute nichts«, brummte mein Gefährte, ein
havelländischer Herr, aus seiner Kapuze heraus.
»Um diese Stunde steigt keiner in die Gruft, am we-
nigsten zu dem Enthaupteten.«
»Wir müssen's versuchen. Tot ist tot, enthauptet
oder nicht.« Mit diesen Worten hielten wir vor der
Küsterwohnung, schlugen das Wagenleder zurück, so
rasch es unsre klammen Finger gestatteten, und
sprangen mit Vermeidung des Tritts, dem man es
ansah, daß er nur zum »Hängenbleiben« da war, auf
den aufgeweichten Boden.
Die warme Stube drinnen tat uns wohl. Wir trugen
dem Küster unser Anliegen vor, der, unter Gräbern
groß geworden und mit den Toten eingelebt, sofort
seine Bereitwilligkeit ausdrückte, dem »Enthaupte-
ten« einen nächtlichen Besuch zu machen. Zu glei-
cher Zeit erfreute er das Ohr meines Reisegefährten
durch die Erklärung: »daß es für drei zu eng sei«.
Wir nahmen, während Laterne und Kirchenschlüssel
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herbeigeschafft wurden, einen Augenblick Platz und
plauderten, was mir erwünschte Gelegenheit gab,
einige Fragen zu stellen.
»Nun sagen Sie, Herr Kantor, wie steht es damit, ist
er wirklich enthauptet?«
»Das ist er. Darüber kann kein Zweifel sein. Sie wer-
den es sehen.«
»Wer ist es?«
»Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, was sich die
Leute hier erzählen. Sie sagen, es sei der Oberst von
Weiler, der um 1680 Falkenrehde besaß. Sie sagen,
daß er Unterschleife machte, daß er heimlich hinge-
richtet wurde und daß die Frau des Obersten die Lei-
che freibat, um sie hier beisetzen zu können.«
»Das ist alles?«
»Ja!«
»Glauben Sie es?«
»Ich darf wenigstens nicht sagen: ich glaub es nicht .
Ein Enthaupteter ist da. Irgend etwas muß passiert
sein.«
So weit war unsere Unterhaltung gediehen, als die
Frau die brennende Laterne brachte, was man so
brennen heißt, vier angeblakte Scheiben mit einem
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Lichtstumpfe drin. Der Küster nahm den Vortritt, und
so schritten wir auf die Straße hinaus, wo inzwischen
die Falkenrehder, bis zu dem benachbarten Kirchhofe
hin, Spalier gebildet hatten. Das Gerücht von unserm
Vorhaben war durchs Dorf gelaufen wie ein Feuer
übers Strohdach. Alles sah uns nach, mit einem an-
dächtigen Ernst, als ob wir auszögen, den Lindwurm
zu töten.
Alsbald hielten wir vor dem Kirchhofsportal, einem
schmiedeeisernen Gittertor, das an höchster Stelle
zwei in Erz getriebene Lorbeerzweige und inmitten
derselben die vergoldeten Buchstaben E. v. W.
(Ernst von Weiler) zeigte. Gerade hinter diesen
Buchstaben und ihrer Einfassung stand der Mond.
Über die Grabsteine von Pastoren und Amtleuten
hinweg schritten wir nunmehr auf die Kirche zu und
traten durch eine Seitentür in dieselbe ein.
Sie machte einen spukhaften Eindruck, weil sie über-
all da, wo das Mondlicht durch die Scheiben fiel, so
hell war wie bei Tage. Daneben lagen breite Schat-
tenstreifen. An den Wänden und Pfeilern hingen To-
tenkränze und Brautkronen mit ihren langen bunten
Bändern. Es war, als bewegten sie sich bei unserem
Eintreten. Wir schritten nun zunächst auf den Altar
zu, wo ich im Halbdunkel ein großes Bild zu bemer-
ken glaubte. Wirklich, es war eine Kreuzigung, alles
in Rokokomanier, und die Magdalene mit hohem
Toupet und Adlernase sah aus wie die Frau von
Pompadour. Ich darf sagen, daß das Unheimliche des
Ortes
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