Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Beschäftigung auch neue Stiefel, Stiefel zum
Fahren, zum Gehen, zum Reiten, Jagdstiefel und
Tanzstiefel, alle von den verschiedensten Formen
und Farben und von jeglicher Art von Leder. An diese
Passion setzte er den Rest von Vermögen, den die
Verschwendungssucht der Eltern und die Spielsucht
des Bruders ihm übriggelassen hatte. Die Stiefel-
sucht tat das Letzte. Er wurde unter Kuratel gestellt;
aber es war zu spät. Die volle Verwüstung der einst
so schönen Besitzung hatte bereits Platz gegriffen:
die Statuen im Park wurden zerschlagen und bildeten
auf Jahrzehnte hin den Steinbruch für alle Funda-
mentbauten im Dorf, die Akten und Briefschaften,
darunter mutmaßlich Dinge von unschätzbarem
Wert, wurden zum Heizen und Gänsesengen benutzt,
2150
und die kostbaren alten Familienbilder, aus ihren
Barockrahmen herausgeschnitten und mit zwei an-
genähten Hängseln versehen, mußten es sich gefal-
len lassen, als Maurerschürzen vorgebunden zu wer-
den. So gingen die Dinge, bis zuletzt die Zerstörung
aufhörte, nur deshalb, weil von offen Daliegendem und jedem Zugänglichen nichts mehr zu zerstören
war. Ein Verwalter, dem, bis zur Regelung aller Ver-
hältnisse, die Verwaltung des Gutes übergeben wur-
de, zog in einen Seitenflügel; das alte Herrenhaus
selbst wurde geschlossen. Und dies war ein Glück.
Was noch in Boden- und Giebelstuben versteckt, in
Ecken und Winkeln vergraben lag, war nunmehr ge-
rettet und konnte in einer andern Zeit, die herauf-
dämmerte, wieder gefunden und geborgen werden.
Diese Zeit kam mit dem Jahre 1850.
Wust seit 1850
Im Herbst 1850 trat der gegenwärtige Besitzer, ein
Katte von der uckermärkischen Linie, in das Wuster Erbe ein. Ein besseres Los konnte diesem letzteren
nicht fallen. Hier, wo seit ziemlich einem Jahrhundert
immer nur Torheit in den verschiedensten Formen
tätig gewesen war, erschien plötzlich die Kehrseite
davon, und ein Geist gewissenhaftester Ordnung griff
Platz. Die Äcker wurden wieder bestellt, und wo so
lange bloß »Hof gehalten war«, erstand wieder ein Hof, wie er auf einem solchen Besitze sein soll: ein
Wirtschaftshof . Scheunen, Ställe, Betriebsgebäude 2151
wurden aufgeführt, und Wust wurde eine Musterwirt-
schaft, was es mutmaßlich nie vorher gewesen war.
Aber mehr als das. Nicht bloß über das Gut war eine
rettende Hand gekommen, ebenso über den Erinne-
rungsschatz , den das alte Herrenhaus umschloß.
Vieles, das meiste war zerstört. Manches aber hatte
der Zerstörung getrotzt, und noch anderes, wie be-
reits hervorgehoben, hatte sich in Ecken und Winkeln
der Hand des Vandalismus entzogen. Dies alles wur-
de jetzt hervorgesucht, gesammelt, geordnet. Frau
von Katte, mit sich gleichbleibender Pietät, dazu mit
immer wachsender Liebe für die Aufgabe, die sie sich
gesetzt, stellte aus Bruchstücken vieles wieder her,
und ihrem unermüdlichen Eifer verdanken wir das meiste von dem, was wir hier mitteilen konnten.
Ein heller Augusttag führte uns als Gast in das alte,
nun wiederhergestellte Herrenhaus. Der große Emp-
fangssaal nahm uns auf, in dem einst (im Okto-
ber 1806, wenn ich nicht irre) Marschall Soult geses-
sen und dekretiert hatte.
Es ist dies das interessanteste Zimmer des Hauses.
Das meiste von seinen alten Erinnerungsstücken fin-
det sich hier zusammen, namentlich von Bildern.
Drei derselben stammen aus der historischen Zeit
von Wust, also aus der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts. Es sind der Feldmarschall von K. in
Koller und Küraß, seine Gemahlin zweiter Ehe und
der Sohn erster Ehe, Haus Hermann. Das Bild des
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letzteren, der hier etwa vierundzwanzig Jahre alt
erscheint, nimmt selbstverständlich das Hauptinte-
resse in Anspruch. Er trägt die Uniform des Re-
giments Gensdarmes, dazu das gepuderte Haar
rechts und links in drei Locken gelegt. Seine Züge,
weder hübsch noch häßlich, verraten Klugheit, Ener-
gie und einen gewissen Standesdünkel. Der Kunst-
wert ist nur ein mittlerer. Auch scheint es durch Ü-
bermalung gelitten zu haben. Vergleiche Band II,
Seite 331.
Wir musterten diese und andere Bilder. Dann, nach
einem Umgange durch das Haus, schritten wir über
die Dorfgasse hin, um zunächst der alten Kirche,
dann dem Gruftanbau unseren Besuch zu machen. In
der Kirche war seit 150 Jahren so ziemlich alles beim
alten geblieben, die Grabsteine, die wir eingangs
geschildert, standen noch an alter Stelle, und nur
einige
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