Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Triumphe
weg. Andere nahmen die Zähne des Enthaupteten
als Erinnerungsstücke mit, so daß, als Anfang der
fünfziger Jahre das traurige Administrations-
Interregnum endlich sein Ende erreichte, der neue
Besitzer ein wüstes Durcheinander vorfand. Die Pie-
tät kam zu spät. Was noch geschehen konnte, ge-
schah, ganz besonders auch an dieser Stelle. Eine Art Ordnung wurde wieder eingeführt, das eine oder
andere gerettet und beispielsweise ein Rest Katte-
schen Haares in einer Kapsel sorglich verwahrt. Aber
die Zerstörung der voraufgegangenen dreißig Jahre
konnte nicht wieder ausgeglichen, das, was fort war,
nicht wiedergewonnen werden.
Wir schlossen die Sargkiste, traten in das Licht des
Tages zurück und schritten auf das Herrenhaus zu.
Aber es duldete uns nicht in den geschlossenen
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Räumen, und der stille Park und seine breiten Rüs-
teralleen nahmen uns alsbald auf. Da lagen die um-
gestürzten Statuen, zerbrochen, zerschlagen, halb
überwachsen von grünem Gesträuch. Auch hier die
Bilder der Vergänglichkeit.
Unser Weg führte uns zuletzt bis an die Grenze des
Parks. Eine Birkenbrücke, über einen Graben hinweg,
ging ins Freie, breite Wiesen dehnten sich vor uns,
jenseit stiegen Kirchentürme auf, und aus der Niede-
rung zog ein Nebel langsam zu uns her.
Es dämmerte.
Und wie Dämmerung kam es über uns selbst, jener
traumwache Zustand, dem Leid und Freud, dem
Trauerspiel und Posse, dem der enthauptete und der
Stiefel-Katte gleichmäßig zu Bild und Erscheinung
werden – zu Gliedern in derselben Kette.
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Der Schwielow und seine
Umgebung
Der Schwielow
Mit der Wasser Steigen steigt auch das Gefühl ihm sei-
ner Kraft,
Und der Damm, er ist zertrümmert, und durchbrochen
ist die Haft.
»Der Wenersee«
Sieh den Schwan,
Umringt von seiner frohen Brut
Sich in den roten Widerschein
Des Himmels tauchen! Sieh, er schifft
Zieht rote Furchen in die Flut
Und spannt des Fittichs Segel auf. (»Irin«)
Ewald von Kleist
Der Schwielow ist eine Havelbucht im großen Stil wie
der Tegler See, der Wannsee, der Plauesche See.
Allesamt sind es Flußhaffe, denen man zu Ehre oder
Unehre den Namen »See« gegeben hat. In etwaige
Rangstreitigkeiten treten wir nicht ein; sie mögen
unentschieden bleiben wie andere mehr.
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Unter allen Havelbuchten, welchen Namen sie immer
führen mögen, ist der Schwielow die größte und sehr
wahrscheinlich auch die neueste. Vielleicht zählt dies
weite Wasserbecken noch keine tausend Jahre, kei-
nenfalls geht es weit in die Vorgeschichte zurück.
Mannigfachen Anzeichen nach ging in den ersten
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung die südliche
Ausbuchtung der Havel nur etwa eine Meile über
Potsdam hinaus, und ein Erdwall, über dessen Aus-
dehnung und Beschaffenheit es nutzlos wäre zu kon-
jekturieren, schob sich etwa in Höhe des Dorfes Ca-
puth trennend zwischen die höher gelegene Havel im Norden und ein tiefer gelegenes Moorland im Süden.
Da, in einer Sturmnacht, stauete ein Südwest die
ihm entgegenfließenden Havelwasser bis an die
Potsdamer Enge zurück, und plötzlich umschlagend
in einen eisigen Nordnordost, stieß er die aufgetürm-
te Wassermasse mit solcher Gewalt gegen den Erd-
wall, daß dieser zerbrach und die bis dahin abge-
dämmten Havelwasser wie aus einem Schleusenwerk
sich in das tiefer gelegene Moorbecken ergossen. In
jener Nacht wurde der Schwielow geboren.
Im Einklange hiermit ist es, daß die weite Wasserflä-
che, die jetzt diesen Namen führt, mehr durch ihre
Masse als durch ihre Tiefe imponiert: der Schwielow
hat ganze Striche, wo man Grund fühlen, noch ande-
re, wo man ihn durchwaten kann. Unter allen unsren
Seen kommt er dem Müggelsee am nächsten. An
Fläche und Ausdehnung diesem Könige der märki-
schen Gewässer nah verwandt, weicht er im Charak-
ter doch völlig von ihm ab. Die Müggel ist tief, fins-
ter, tückisch – die alten Wendengötter brauen unten
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in der Tiefe; der Schwielow ist breit, behaglich, son-
nig und hat die Gutmütigkeit aller breit angelegten
Naturen. Er hält es mit leben und leben lassen; er
haßt weder die Menschen noch das Gebild aus Men-
schenhand; er ist das Kind einer andern Zeit, und
der Christengott pochte vielleicht schon an die Tore,
als er ins Dasein trat.
Der Schwielow ist gutmütig, so sagten wir; aber wie
alle gutmütigen Naturen kann er heftig werden,
plötzlich, beinahe unmotiviert, und dann ist er
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