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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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aus dem Dorf, in ihrer Mitte der alte Jerse, ein
    Siebziger jetzt, mit einer Laterne in der Hand. Zwei
    von den Tagelöhnern nahmen die Pferde vorn am
    Zügel, und Jerse schritt vorauf. So bogen sie quer
    über die Straße, nach der gegenübergelegenen Seite
    des Dorfes ein und fuhren langsam über den holpri-
    gen Kirchhof hin, bis sie vor der angebauten Gruft
    hielten.
    Drinnen war alles unverändert geblieben; ein einzi-
    ger Steinsarkophag in einem weißgetünchten Rau-
    me. »Nu droagt em in«, sagte Jerse, und die beiden
    Männer, die bis dahin die Pferde geführt hatten,
    suchten jetzt an dem Sarge umher, um einen Hand-
    griff zu finden. Aber nichts der Art war da. So scho-
    ben sie denn das Brett, auf dem der Sarg stand, von
    vorn nach hinten, faßten das Brett oben und unten
    und trugen es, samt dem Sarge, in den Anbau hin-
    ein. Als sie in der Mitte der Gruft standen, fragte der Vorderste: »Wo sall he hen?« Jerse schien unschlüssig und trat an den steinernen Sarkophag: »'t is ehr
    Söhn. Awer et jeiht nich. Stellt em in de Eck.« Und
    sie setzten alles nieder, hoben den Sarg einen Au-

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    genblick und zogen das Brett fort. Und nun schlossen
    sich die Torflügel wieder, und über den Kirchhof hin,
    an den schattenhaft dastehenden Kreuzen vorbei,
    verschwand das Fuhrwerk im Dunkel. Jerse blieb
    noch. Er leuchtete außen an der Gruft umher und
    murmelte, wie greisenhafte Leute tun, Unverständli-
    ches vor sich hin, schüttelte dabei den Kopf und
    tappte zuletzt, wie ein Irrer, zwischen den Gräbern
    hin in seine Wohnung zurück.
    So wurde Hans Hermann von Katte beigesetzt. Ohne
    Sang und Klang. Seine Familie hatte seinen Leich-
    nam freigebeten, und die Gnade des Königs hatte es
    gewährt.

    Wust 1748
    Wieder achtzehn Jahre später. Im Herrenhause zu
    Wust ist es still geblieben wie vordem, die Zimmer
    sind leer, und nur die Gruft hat sich gefüllt. Die Mut-
    ter Hans Hermanns und er selber sind längst nicht
    mehr die einzigen Bewohner darin. Die ganze Familie
    des Feldmarschalls ist in den weißgetünchten Raum
    eingezogen: er selber, seine zweite Frau, seine zwei
    Söhne zweiter Ehe. Die Wuster Linie war mit ihnen
    ausgestorben, und die Linie des anderen Bruders,
    des Kammerpräsidenten, war jetzt Besitzer von Wust
    geworden.

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    Aber auch dieser ältere Bruder hielt sich fern. Es
    schien, als ob Wust nur noch dazu dienen sollte, Be-
    gräbnisplatz der Familie zu sein.

    Wust 1775
    So blieb es bis zum Tode des Kammerpräsidenten
    (1760), auch noch einige Jahre drüber hinaus.
    In der Mitte der sechziger Jahre aber begann hier ein
    neues Leben, und abermals zehn Jahre später stand
    es auf seiner Höhe. Solche Tage hatte Wust nie ge-
    sehn. Leid war in Freude verkehrt, und man gedach-
    te nicht mehr des Novembers 1730. Das Füllhorn
    königlicher Gnade war über alles ausgeschüttet wor-
    den, was von Katte hieß, und man freute sich dieser
    Gnade und ließ die Toten ruhn. Es waren Zeiten, wo
    sich das Leben ums Leben drehte und nicht mehr um den Tod.
    Der Besitzer Wusts um diese Zeit war Ludolf August
    von Katte, der älteste Sohn des Kammerpräsidenten.
    Der enthauptete Vetter, der in der Gruft stand,
    machte ihm wenig Sorge. Jenen hatte der Zorn des
    einen Königs, ihn hatte die Gnade des andern getrof-
    fen. Er war ein Glückskind, wie jener ein Kind des
    Unglücks gewesen war. Nicht nur, daß ihm Wust aus
    der Hinterlassenschaft des Vaters als Erbe zugefal-
    len, nein, sein Glück zeigte sich ganz besonders auch
    darin, wie er zu einer Frau kam. Der König, der, vom

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    Momente seiner Thronbesteigung an, sich in Auf-
    merksamkeiten gegen die Kattes erging, hatte, wie
    er das liebte (er war ein rechter Partienmacher), un-
    ter andern auch eine reiche Erbtochter, und zwar
    eine Rolas du Rosey, für den zweiten Sohn des
    Kammerpräsidenten ausgesucht. Die Kattes, ihrer-
    seits verwöhnte Leute, wollten sich nicht so ohne
    weiteres drangeben und deputierten den ältesten
    Bruder, um zu erforschen, »wie es eigentlich stün-
    de«. Denn es war bekannt, daß der König nur Geld-
    heiraten stiftete und körperliche Gebrechen nie als
    ernstliches Hindernis betrachtete. Ludolf August
    brach also auf. Er fand die Erbtochter derart, daß er,
    seines eigentlichen Auftrages vergessend, als verlob-
    ter Bräutigam nach Wust zurückkehrte. Der ge-
    täuschte Bruder fand sich ohne Schwierigkeit in das
    fait accompli und der König noch viel mehr. Ihm lag
    nur daran, den Kattes eine Guttat anzutun;

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