Wanderungen durch die Mark Brandenburg
unbe-
rechenbar. Eben noch lachend, beginnt ein Kräuseln
und Drehen, nun ein Wirbel, ein Aufstäuben, ein Ge-
wölk – es ist, als führe eine Hand aus dem Trichter,
und was über ihm ist, muß hinab in die Tiefe. In sol-
chen Augenblicken gibt er der Müggel nichts nach. Es
gibt ganze Linien, wo die gescheiterten Schiffe lie-
gen.
Ihn zu befahren in seiner ganzen Breite war seit lan-
ge mein Wunsch. Heute bot sich die Gelegenheit. Der
Wind war gut, ein regelrechter Südost. An der Fähr-
stelle zu Caputh lag das Boot; grün und weiß die
Planken und Ruder; das Segel war noch an den Mast
gebunden. Wir stiegen ein zu dritt, mit uns die Söh-
ne des Fährmanns, drei junge Caputher Midshipmen
zwischen zehn und vierzehn, die auf dem Schwielow
für den vaterländischen Dienst sich vorbereiten, wie
einst der Peipus die Hohe Schule war für die werden-
de russische Flotte. Sie hatten bereits die Ruhe des
Seemanns; dazu blaue Mützen mit Goldstreif und
den Anker daran. Der Älteste nahm den Platz am
Steuer; nun los die Bänder, der Wind fuhr in das
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flatternde Segel, und wie ein Pfeil glitten wir über die breite Fläche hin. Der Fährmann, eine prächtige Gestalt, stand am Ufer und wünschte gute Fahrt. Wir
gaben Antwort mit Hohiho und Mützenschwenken.
Eine Weile ging das Geplauder, aber bald wurden wir
still. Wir waren jetzt in der Mitte des Sees, die Sonne stand hinter einem Gewölk, so daß alles Glitzern und
Blenden aufhörte, und nach links hin lag jetzt in Mei-
lentiefe der See. Ein Waldkranz, hier und da von ein-
zelnen Pappeln und Ziegelessen überragt, faßte die
weiten Ufer ein; vor uns, unter Parkbäumen, Petzow
und Baumgartenbrück, nach links hin, an der Süd-
spitze des Sees, das einsame Ferch.
Dieser einsame Punkt war mit unter den Lieblings-
plätzen Friedrich Wilhelms IV., der in Sommertagen,
wenn er abends zu Schiff in die Havelseen hinaus-
fuhr, gern hier anlegte und seine Teestunde in engs-
tem Kreise verplauderte. Noch zeigt eine umfriedete
Stelle den Platz am Abhang, wo er zu sitzen und das
schöne Bild zu überblicken liebte.
Jetzt lag die Breite des Sees hinter uns; noch durch
einen Schilfgürtel hindurch, und wir glitten das
schlammige Ufer hinauf; nur der Stern des Kahns lag
noch im Wasser. Hügelan steigend, suchten wir eine
schattige Stelle unter dem Dach zweier halb zusam-
mengewachsener Akazienbäume und sahen nun hin-
aus auf die blanke Fläche, auf das Spiel wechselnder
Farben und auf das stille Leben, das darüber hinglitt.
Blaue Streifen zogen sich durchs Grau, dann umge-
kehrt, und quer durch diese Linien, über die das
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Licht hinglitzerte, kamen und gingen die Schiffe. Die
Segel standen blendend weiß in der Sonne.
Stunde und Stimmung waren günstig zum Plaudern.
Unser Schwielow-Führer nahm das Wort, und an den
Hand des Schattens tretend, der unsern Platz umzir-
kelte, hob er jetzt geschäftig an: »Dort wo Sie den
grauen Streifen sehen, fast in der Mitte, aber mehr
nach Caputh zu, dort liegen die Schiffe, die der
Schwielow hinabgerissen; was er hat, das hält er
fest; er gibt sie schwer wieder heraus. Und doch soll er's, und doch wird er darum angegangen. Die Versi-cherungsgesellschaften setzen ihm scharf zu und
fragen nicht lange, ob er will oder nicht. Es ist noch
nicht lange, da haben sie's wieder versucht. In Ca-
puth gibt es immer einen Freudentag; ob's glückt
oder nicht, es bringt uns Geld ins Dorf.«
»Wie werden denn diese Hebungsversuche ge-
macht?«
»Das ist einfach genug. Eines Tages erscheinen
zwanzig Mann oder mehr, und mit ihnen kommen
zwei große, starke Havelkähne, mit hohen Wänden,
zugleich mit allerhand Maschinen und Hebevorrich-
tungen an Bord. Nun legen sich die beiden Havel-
kähne zu seiten des untergegangenen Schiffes, von
einem Kahn zum andern werden drei starke Bohlen-
brücken gelegt und auf diese Brücke drei Drehbassen
gestellt. Ein Assekuranz-Taucher, der immer mit zur
Stelle ist und zu den Hauptfunktionären zählt, tritt
nun seine Niederfahrt an, und unter dem Rumpf des
gesunkenen Schiffes hinweg – an den Stellen, die
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oben den drei Brückenlagen entsprechen – zieht er
jetzt drei eiserne Ketten, die nunmehr jede einzelne
zusammengeknotet und an dem Kranhaken befestigt
werden. Nun beginnen die Drehbassen ihr Werk.
Geht alles gut und denkt der Schwielow bei sich:
›nun meinetwegen‹, so bringen sie das Schiff heraus
und halten es zwischen den
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