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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Dies Bild wieder-
    holte sich von Haus zu Haus, und ihre Gesamtheit
    erinnerte mich lebhaft an kleine Ostsee-Badeörter,
    wo an Juliabenden die Binnenländischen von Spree
    und Havel in Front der Schiffer- und Lotsenhäuser
    sitzen und sich an Blaubeeren mit Milch erlaben,
    während irgendeine Flagge oder ein roter Wimpel
    von dem Frontgiebel des Hauses niederhängt.
    Die Szenerie dieselbe, aber nicht die Menschen.
    Während in jenen Badeörtern das Weibliche prävaliert und die scharf akzentuierten Laute, die jetzt
    Agathen und Elisen, jetzt Helenen und Clementinen
    zur Ordnung rufen, schon auf dreißig Schritt keinen
    Zweifel darüber lassen, daß hier eine Residenzmutter
    sich niedergelassen hat – wir sagen, während das
    Weibliche , die Glucke mit den Küchlein, die Signatur jener baltischen Badeplätze ist, herrscht hier das
    Männliche bis zu einem Grade vor, daß man
    Neu Geltow als ein ausgebautes Mönchskloster be-
    zeichnen könnte, als eine Benediktiner-
    Genossenschaft, deren Zellen in Gestalt kleiner Häu-
    schen nebeneinandergestellt worden sind.
    Ich habe diese Auswahl unter den Mönchsorden mit
    gutem Vorsatz getroffen, denn die Benediktiner sind
    die Studiermönche, und was hier in diesen Neu-
    Geltower Zellen haust und wohnt, das sind in der Tat
    Wissenschaftsbeflissene, das sind junge Männer, die
    sich an dieser stillen, abgelegenen Stelle »Studierens
    halber« aufhalten.

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    Es hat damit folgende Bewandtnis.
    In Preußen (wie in China) ist nichts ohne Examen!
    Alle Examina sind Klippengrund, besonders die juris-
    tischen. Aber wenn schon das Examen des Gerichts-
    assessors den gefürchteten »Needles« entspricht, in
    deren Umkreis die Schiffe zu Hunderten liegen, so
    entspricht das Examen des Regierungs assessors den Goodwin-Sands, wo die Mastspitzen der Verlorenge-gangenen so dicht aufragen wie die Kreuze auf ei-
    nem großstädtischen Kirchhof.
    Solche und ähnliche Betrachtungen mochten es sein,
    die vor etwa zwanzig Jahren einen Dr. Foerstermann
    anspornten, der bedrängten Menschheit zu Hilfe zu
    eilen. Dem Plan folgte die Ausführung. In das schö-
    ne, beinah schloßartig gelegene Haus des alten Meu-
    sebach zog der junge Doktor ein; die Bibliothekzim-
    mer wurden zu Klassen und Auditorien, und ein In-
    stitut entstand, das sich, »einem tiefgefühlten Be-
    dürfnis entsprechend«, rasch emporarbeitete und die
    Zahlen und Tabellen der Schiffbruchstatistik erheb-
    lich reduzierte, während Neu Geltow mehr und mehr
    jenen Klostercharakter annahm, den wir vorstehend
    bezeichnet haben. Auch ein Gelübde hatten die Ein-
    tretenden zu leisten; keins der drei großen, am we-
    nigsten das der Armut, wohl aber das eine : jede der beim Examen an sie gerichteten Fragen gewissenhaft
    zu notieren und mitzuteilen. Diese Fragen, nunmehr
    Eigentum des Instituts, wurden in das Goldene Buch
    des Hauses eingetragen, und was in Upsala der Co-
    dex argenteus oder in London die Tischendorfsche
    Bibel ist, das wurde im Foerstermannschen Institut

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    dieser Codex aureus. An ihm hing alles; er wog alles
    andere auf. Es war der Koran des Omar. »Wenn in
    anderen Büchern dasselbe steht, so sind sie über-
    flüssig; wenn in ihnen etwas anderes steht, so sind
    sie unbrauchbar, gefährlich .« Wie die Welt auf der Schildkröte ruht so ruhte das Institut auf diesem
    Buch. Und doch kam es anders, als
    Dr. Foerstermann gedacht hatte.
    Die Zeit schritt vorwärts, Preußen mit, und mit ihm –
    seine Steuern. Ruhm war nie billig. An
    Dr. Foerstermanns Tür klopfte die »Einschätzungs-
    kommission«, klopfte häufiger und immer stärker,
    und müde der drohenden Schraube ohne Ende,
    schloß er das Institut. Die Studiermönche von
    Neu Geltow waren haupt- und führerlos. Der Orden
    schien seiner Auflösung nahe.
    Aber er schien es nur. Ein junger begnadeter Refe-
    rendarius, der noch nicht lange genug da war, um
    den Wald vor Bäumen nicht zu sehen, trat in den
    Kreis der bemoosten Häupter und sprach wie folgt:
    »Brüder! Ein Blitz aus heiterm Himmel hat unsern
    Orden getroffen. Wir sind wie gelähmt. Aber verloren
    ist nur, was sich selber verloren gibt. Ich schlage
    vor: Geben wir uns nicht verloren. (Beifall. Ironisches Lächeln.) Ich wiederhole: Geben wir uns nicht verloren. Kommilitonen, wir haben das Goldene
    Buch. (›Nein, nein! ja, ja!‹) Wir haben das Goldene
    Buch. Wir haben nicht den toten Einband (›gut,
    gut!‹), aber wir haben alles, was lebendig an diesem
    Buche ist, wir haben – die

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