Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Dies Bild wieder-
holte sich von Haus zu Haus, und ihre Gesamtheit
erinnerte mich lebhaft an kleine Ostsee-Badeörter,
wo an Juliabenden die Binnenländischen von Spree
und Havel in Front der Schiffer- und Lotsenhäuser
sitzen und sich an Blaubeeren mit Milch erlaben,
während irgendeine Flagge oder ein roter Wimpel
von dem Frontgiebel des Hauses niederhängt.
Die Szenerie dieselbe, aber nicht die Menschen.
Während in jenen Badeörtern das Weibliche prävaliert und die scharf akzentuierten Laute, die jetzt
Agathen und Elisen, jetzt Helenen und Clementinen
zur Ordnung rufen, schon auf dreißig Schritt keinen
Zweifel darüber lassen, daß hier eine Residenzmutter
sich niedergelassen hat – wir sagen, während das
Weibliche , die Glucke mit den Küchlein, die Signatur jener baltischen Badeplätze ist, herrscht hier das
Männliche bis zu einem Grade vor, daß man
Neu Geltow als ein ausgebautes Mönchskloster be-
zeichnen könnte, als eine Benediktiner-
Genossenschaft, deren Zellen in Gestalt kleiner Häu-
schen nebeneinandergestellt worden sind.
Ich habe diese Auswahl unter den Mönchsorden mit
gutem Vorsatz getroffen, denn die Benediktiner sind
die Studiermönche, und was hier in diesen Neu-
Geltower Zellen haust und wohnt, das sind in der Tat
Wissenschaftsbeflissene, das sind junge Männer, die
sich an dieser stillen, abgelegenen Stelle »Studierens
halber« aufhalten.
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Es hat damit folgende Bewandtnis.
In Preußen (wie in China) ist nichts ohne Examen!
Alle Examina sind Klippengrund, besonders die juris-
tischen. Aber wenn schon das Examen des Gerichts-
assessors den gefürchteten »Needles« entspricht, in
deren Umkreis die Schiffe zu Hunderten liegen, so
entspricht das Examen des Regierungs assessors den Goodwin-Sands, wo die Mastspitzen der Verlorenge-gangenen so dicht aufragen wie die Kreuze auf ei-
nem großstädtischen Kirchhof.
Solche und ähnliche Betrachtungen mochten es sein,
die vor etwa zwanzig Jahren einen Dr. Foerstermann
anspornten, der bedrängten Menschheit zu Hilfe zu
eilen. Dem Plan folgte die Ausführung. In das schö-
ne, beinah schloßartig gelegene Haus des alten Meu-
sebach zog der junge Doktor ein; die Bibliothekzim-
mer wurden zu Klassen und Auditorien, und ein In-
stitut entstand, das sich, »einem tiefgefühlten Be-
dürfnis entsprechend«, rasch emporarbeitete und die
Zahlen und Tabellen der Schiffbruchstatistik erheb-
lich reduzierte, während Neu Geltow mehr und mehr
jenen Klostercharakter annahm, den wir vorstehend
bezeichnet haben. Auch ein Gelübde hatten die Ein-
tretenden zu leisten; keins der drei großen, am we-
nigsten das der Armut, wohl aber das eine : jede der beim Examen an sie gerichteten Fragen gewissenhaft
zu notieren und mitzuteilen. Diese Fragen, nunmehr
Eigentum des Instituts, wurden in das Goldene Buch
des Hauses eingetragen, und was in Upsala der Co-
dex argenteus oder in London die Tischendorfsche
Bibel ist, das wurde im Foerstermannschen Institut
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dieser Codex aureus. An ihm hing alles; er wog alles
andere auf. Es war der Koran des Omar. »Wenn in
anderen Büchern dasselbe steht, so sind sie über-
flüssig; wenn in ihnen etwas anderes steht, so sind
sie unbrauchbar, gefährlich .« Wie die Welt auf der Schildkröte ruht so ruhte das Institut auf diesem
Buch. Und doch kam es anders, als
Dr. Foerstermann gedacht hatte.
Die Zeit schritt vorwärts, Preußen mit, und mit ihm –
seine Steuern. Ruhm war nie billig. An
Dr. Foerstermanns Tür klopfte die »Einschätzungs-
kommission«, klopfte häufiger und immer stärker,
und müde der drohenden Schraube ohne Ende,
schloß er das Institut. Die Studiermönche von
Neu Geltow waren haupt- und führerlos. Der Orden
schien seiner Auflösung nahe.
Aber er schien es nur. Ein junger begnadeter Refe-
rendarius, der noch nicht lange genug da war, um
den Wald vor Bäumen nicht zu sehen, trat in den
Kreis der bemoosten Häupter und sprach wie folgt:
»Brüder! Ein Blitz aus heiterm Himmel hat unsern
Orden getroffen. Wir sind wie gelähmt. Aber verloren
ist nur, was sich selber verloren gibt. Ich schlage
vor: Geben wir uns nicht verloren. (Beifall. Ironisches Lächeln.) Ich wiederhole: Geben wir uns nicht verloren. Kommilitonen, wir haben das Goldene
Buch. (›Nein, nein! ja, ja!‹) Wir haben das Goldene
Buch. Wir haben nicht den toten Einband (›gut,
gut!‹), aber wir haben alles, was lebendig an diesem
Buche ist, wir haben – die
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