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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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seiner Büchse. Er
    sah wie gestört aus; dann winkte er mit der Hand,
    wie um anzudeuten: der Graf solle ihn nicht stören.
    Der aber ritt näher. Schupke winkte noch einmal. Als
    der Graf auch jetzt noch weiter vor ritt, legte Schup-
    ke die Büchse an die Schulter: ›Zurück, Herr Haupt-
    mann, oder ich schieße!‹
    Der Graf hielt – ein Gardejäger trifft seinen Mann. So
    war Zeit gewonnen. Im nächsten Augenblick aber fiel

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    ein Schuß. Schupke hatte sich durch die Brust ge-
    schossen.
    Auf einer Bahre trugen sie ihn hinein. Er schien ein
    Sterbender. Aber die Jugend war stärker als der Tod.
    Drei Jahre lang lag er im Lazarett, die Kugel hatte
    ihm ein Stück Tragband mit in die Lunge gejagt;
    dann stand er auf und war ein genesener Mann. Kein
    Mensch in Potsdam sprach von dem, was vorher gegangen war; in Mitleid war jede andere Betrachtung
    untergegangen; jeder hatte ein tiefes Mitgefühl für
    den Mann von Ehre, der die leise Schuld, die ihn traf,
    mit seinem Blute bezahlt hatte. Er verließ das Laza-
    rett und wurde Förster in der Pirschheide. Hier, wo
    die Lichtung ist, dort stand sein Haus.
    Das Trauerspiel war aus; das Idyll begann. Er schloß
    eine glückliche Ehe, und ehe zehn Jahr ins Land ge-
    gangen waren, war er eine ›Figur‹ in Havelland und
    Zauche. Er trat wie ein Sonnenschein in jeden Kreis;
    jedes Gesicht wurde heiterer, die Kinder liefen ihm
    entgegen und reichten ihm die Hand. Er hatte die
    glücklichste Mischung: einen festen Sinn und ein
    freundliches Herz.
    So lebte er in unserer Mitte, unseres Dorfes Stolz,
    sich und anderen zur Freude. Aber er sollte nicht zu
    hohen Jahren kommen. Eines Morgens – alle Dächer
    lagen in Reif, und die Sonne stand wie eine rote Ku-
    gel über den Bäumen –, da lief es von Haus zu Haus:
    ›Schupke ist tot.‹ Es war nur allzu wahr.

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    Er hatte einen eigenen Tod gehabt. Einen etwas en-
    gen Stiefel mit Gewalt anziehend, war eines der ver-
    narbten Blutgefäße wieder geplatzt, und der Erguß in
    die Lunge hatte seinem Leben ein Ziel gesetzt.
    Drei Tage später haben wir ihn begraben. Keiner
    fehlte. Es waren herzliche Tränen, die auf sein Grab
    fielen. Die Pirschheide hatte keinen bessern Mann
    gesehen.«
    So erzählte unser Führer. Die Sonne war inzwischen
    untergegangen; wir gaben unsern Lukenplatz auf
    und stiegen hinunter . Ein weißer, kaum fußhoher Nebel zog über den Kirchhof hin und hüllte die Grä-
    ber ein; aber die Kreuze ragten hell darüber hinaus,
    und auf der goldenen Inschrift des einen lag es wie
    ein letzter Schimmer.

    Neu Geltow

    Seit drei Menschenaltern schöpft ihr
    Aus dem Meere dieser Weisheit;
    Habt ihr keinen Tropfen, laßt mich
    Wissen trinken, denn mich dürstet.
    Scherenberg
    (»Der letzte Maurenkönig«)

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    Es dämmerte, und die ersten Sterne zogen blaß her-
    auf, als wir unsern Heimweg antraten. Unser Spezial-
    führer auf dem Alt-Geltower Kirchhof blieb zurück.
    Welche Gegensätze hatten eben zu uns gesprochen!
    Ein gelehrter, bienenfleißiger Sammler; ein Lebe-
    mann, »der die Bibliothek seines Vaters in den Keller trug«, und als dritter ein Parkhüter, der in den Bäumen seines Wildparks so gut Bescheid wußte wie
    sein Nachbar in seinen Büchern. Ein schlichtes Da-
    sein, diese Parkhüterexistenz, und doch war der blu-
    tige Ernst des Lebens erschütternder an sie herange-
    treten als an das Leben dessen, der im Granatregen
    von Giurgevo spazierengegangen war und dreizehn
    Duelle als Gesandter in Rio auf einmal kontrahiert
    hatte.
    So plauderten mein Gefährte und ich, bis die wech-
    selnde Szenerie unserm Gespräch eine andere Rich-
    tung gab. Wir hielten immer noch die Dorfstraße in-
    ne; aber das Dorf selbst schien ein anderes gewor-
    den, und in der Tat waren wir aus Alt Geltow in Neu Geltow hineingeraten. Der Unterschied war so groß, daß er sich uns aufdrängen mußte. Der dörfi-sche Charakter hatte aufgehört, Sommerhäuser wa-
    ren an seine Stelle getreten; klein, einstöckig, aber
    von großer Sauberkeit und überall da, wo ein Vor-
    garten war oder wo sich Caprifolium- und Rosenbü-
    sche um Tür und Fenster zogen, voll Anmut und ma-
    lerischem Reiz. In Front der Häuschen standen ge-
    deckte Tische: Cabarets, Fruchtschalen, mit Erd- und
    Himbeeren gefüllt, Milchsatten und geriebenes
    Schwarzbrot, während in der Mitte der dichtbesetz-
    ten Tafel ein Teeapparat und eine Milchglaslampe

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    aufragte, deren Flamme ohne jegliches Flackern
    brannte. Denn kein Luftzug ging.

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