Wanderungen durch die Mark Brandenburg
ließen zuzeiten viel zu wünschen
übrig, aber alle hatten sie denselben Familienstolz,
und nach außen hin waren sie einig. Sie waren das herrschende Geschlecht.
So gingen die Dinge seit unvordenklichen Zeiten; das
alte Europa brach zusammen, Throne schwankten,
die »Weiße« blieb. Sie blieb während der Franzosen-
zeit, sie blieb während der Befreiungsjahre, sie
schien fester als irgendeine etablierte Macht. Aber
schon lauerte das Verderben.
In jenen stillen Jahren, die der großen Aufregung
folgten, wo man's gehenließ, wo die Wachsamkeit
lullte, da geschah's. Eines Tages, wie aus dem Boden
aufgestiegen, waren zwei Konkurrenzmächte da: die
Grünthaler und die Jostysche .
Jetzt, wo sich ein freierer Überblick über ein halbes
Jahrhundert ermöglicht, ist die Gelegenheit gegeben,
auch ihnen gerecht zu werden. Es ist jetzt die Mög-
lichkeit da, die Dinge aus dem Zusammenhange zu
erklären, das Zurückliegende aus dem Gegenwärti-
gen zu verstehn. Beide Neugetränke hatten einen
ausgesprochenen Heroldscharakter, sie waren Vor-
läufer, sie kündigten an. Man kann sagen: Berlin war
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für die Bayersche noch nicht reif, aber das Seidel
wurde bereits geahnt. Die Grünthaler, die Jostysche,
sie waren eine Kulmbacher von der milderen Obser-
vanz; die Jostysche, in ihrem Hange nach Milde, bis
zum Koriander niedersteigend. Beide waren, was sie
sein konnten. Darin lag ihr Verdienst, aber doch auch
ihre Schwäche. Ihr Wesen war und blieb – die Halb-
heit. Und die Halbheit hat noch nie die Welt erobert,
am wenigsten Berlin.
So herrschten denn die alten Mächte vorläufig wei-
ter. Aber nicht auf lange. Die Notwendigkeit einer
Wandlung hatte sich zu fühlbar herausgestellt, als
daß es hätte bleiben können, wie es war. Die Welt,
wenn auch nach weiter nichts, sehnte sich wenigs-
tens nach Durchbrechung des Monopols, und siehe
da, was den beiden Vorläufern des Seidels nicht hat-
te glücken wollen, das glückte nunmehr, in ebendie-
sen Interregnumstagen, einer dritten Macht, die, an das Alte sich klug und weise anlehnend, ziemlich
gleichzeitig mit jenen beiden ins Dasein sprang.
Diese dritte Macht (der Leser ahnt bereits, welche)
hatte von vornherein den Vorzug, alles Fremdartigen
entkleidet, auf unserem Boden aufzutreten; – mär-
kisch national, ein Ding für sich, so erschien die
Werdersche . Sie war dem Landesgeschmack ge-
schickt adaptiert, sie stellte sich einerseits in Gegensatz gegen die Weiße und hatte doch wiederum so
viel von ihr an sich, daß sie wie zwei Schwestern
waren, dasselbe Temperament, dasselbe prickelnde
Wesen, im übrigen reine Geschmackssache: blond
oder braun. In Kruken auftretend und über dreimal
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gebrauchten Korken eine blasse, längst ausgelaugte
Strippe zu leichtem Knoten schürzend, war sie, die
Werdersche, in ihrer äußerlichen Erscheinung schon,
der ausgesprochene und bald auch der glückliche
Konkurrent der älteren Schwester, und die bekann-
ten Kellerschilder, diese glücklich-realistische Mi-
schung von Stilleben und Genre, bequemten sich
mehr und mehr, neben der blonden Weißen die
braune Werdersche ebenbürtig einzurangieren. Die
Verhältnisse, ohne daß ein Plan dahin geleitet hätte,
führten über Nacht zu einer Teilung der Herrschaft.
Die Werdersche hielt mehr und mehr ihren Einzug
über die Hintertreppe; in den Regionen der Küche
und Kinderstube erwuchs ihr das süße Gefühl, eine
Mission gefunden und erfüllt zu haben; sie wurde
Nahr bier in des Wortes verwegenster Bedeutung, und das gegenwärtige Geschlecht, wenn auch aus
zweiter Hand erst , hat Kraft und Leben gesogen aus der »Werderschen«.
Dessen seien wir gedenk. Das Leben mag uns losrei-
ßen von unserer Amme; aber ein Undankbarer, der
sie nicht kennen will oder bei ihrem Anblick sich
schämt.
Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit' und Länge,
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So manchen lustigen Nachen trägt;
Und bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
»Faust«
Soviel über die »Werdersche«. Wir kehren zu den
»Werderschen« zurück.
Vom Knie bis zur Stadt ist nur noch eine kurze Stre-
cke. Wir schritten auf die Brücke zu, die zugleich die
Werft, der Hafen- und Stapelplatz von Werder ist.
Hier wird aus- und eingeladen, und die Bilder, die
diesen Doppelverkehr begleiten, geben dieser Stelle
ihren Wert und ihre Eigentümlichkeit. Der
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