Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Dependenzien ist ein solider Durch-
schnittswohlstand zu Hause. Aber man würde doch
sehr irregehn, wenn man hier, in modernem Sinne,
großes Vermögen, aufgespeicherte Schätze suchen
wollte. Wer persönlich anfaßt und fleißig arbeitet,
wird selten reich; reich wird der, der mit der Arbeit
hundert anderer Handel treibt, sie als kluger Rechner
sich zunutze macht. An solche Modernität ist hier
nicht zu denken. Dazu kommen die bedeutenden
Kosten, Lohnzahlungen und Ausfälle. Eine Tiene
Obst, wir gaben es schon an, bringt im Durchschnitt
fünfzehn Silbergroschen; davon kommen sofort in
Wegfall: anderthalb Silbergroschen für Pflückerlohn
und ebenfalls anderthalb Silbergroschen für Trans-
port. Aber die eigentlichen Auslagen liegen schon
weit vorher. Die Führung großer Landwirtschaften ist
aus den mannigfachsten Gründen, aus Mangel an
Wiesen und vielleicht nicht minder aus Mangel an
Zeit und Kräften, auf dem Werder so gut wie unmög-
lich; so fehlt es denn an Dung, und diese Unerläß-
lichkeit muß aus der Nachbarschaft, meist aus Pots-
dam, mühsam herbeigeschafft werden. Eine Fuhre
Dung kostet sieben Taler. Dies allein bedingt die
stärksten Abzüge. Was aber vor allem einen eigentli-
chen Reichtum nicht aufkommen läßt, das sind die
Ausfalljahre, wo die Anstrengungen, um noch größe-
rem Unheile vorzubeugen, verdoppelt werden müs-
sen und wo dennoch mit einem Defizit abgeschlossen
wird. Die Überschüsse früherer Jahre müssen dann
aushelfen. Derartige Ausfalljahre sind solche, wo
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entweder starke Fröste die großen Obstplantagen
zerstören oder wo im Frühjahr die Schwaben und
Blatthöhler das junge Laub töten, die Ernte reduzie-
ren und oft die Bäume dazu. So gibt es denn unter
den Werderschen eine Anzahl wohlhabender Leute,
aber wenig reiche. Es ist auch hier dafür gesorgt,
daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
1. Ein sehr bedeutender Teil des werderschen Obs-
tes, namentlich aus den an der Eisenbahn gele-
genen Obstbergen, geht nicht zu Schiff, sondern
vermittelst Bahn nach Berlin. Auch dieser Ver-
kehr ist außerordentlich bedeutend. Ob er in den
Zahlen, die wir vorstehend verzeichnet haben,
mit einbegriffen ist oder nicht, vermögen wir
nicht mit Bestimmtheit zu sagen.
»Die Werdersche«
Ein Intermezzo
All Großes, wie bekannt, wirft seinen Schatten;
Und ehe dich, o Bayrische, wir hatten,
Erschien, ankündigend, in braunem Schaum
Die Werdersche. Ihr Leben war ein Traum.
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Unter einem Geplauder, das im wesentlichen uns die
Notizen an die Hand gab, die wir vorstehend wieder-
erzählt, waren wir bis an eine Stelle gekommen, wo
die große Straße nach links hin abbiegt und in ihrer
Verlängerung auf die Brücke und demnächst auf die
Insel führt. Genau an dem Kniepunkt erhob sich ein
ausgedehntes Etablissement mit Betriebsgebäuden,
hohen Schornsteinen und Kellerräumen, und der e-
ben herüberwehende Malzduft ließ keinen Zweifel
darüber, daß wir vor einer der großen Brauereien
ständen, die der Stadt Werder auch nach dieser Seite hin eine Bedeutung gegeben haben. Es sind eben
zwei Größen, die wir an dieser Stelle zu verzeichnen haben: in erster Reihe die »Werderschen«, in zweiter
Reihe »die Werdersche«. Eine, Welt von Unterschied
legt sich in diesen einen Buchstaben n. Wie Wasser
und Feuer im Schoße der Erde friedlich nebeneinan-
der wohnen, solange ihr Wohnen eben ein Neben einander ist, aber in Erdbeben und Explosionen uner-
bittlich sich Luft machen, sobald ihr Nebeneinander
ein Durcheinander wird, so auch hier. Den Erfahre-
nen schaudert.
Die Einheitlichkeit unserer Darstellung zu wahren,
hätten wir vielleicht die Pflicht gehabt, die »Werder-
sche« zu unterschlagen und den »Werderschen« al-
lein das Feld und den Sieg zu lassen, aber das Wort:
die »Werdersche«, ist einmal gefallen, und so verbie-
tet sich ein Rückzug. Ein Bierkapitel schiebt sich ver-
legen in das Obstkapitel ein.
Die Zeiten liegen noch nicht weit zurück, wo die
»Weiße« oder, um ihr Symbol zu nennen, die »Stan-
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ge« unsere gesellschaftlichen Zustände wie ein Dy-
nastengeschlecht beherrschte. Es war eine weitver-
zweigte Sippe, die, in den verschiedenen Stadtteilen,
besserer Unterscheidung halber, unter verschiedenen
Namen sich geltend machte: die Weiße von Volpi, die
Weiße von Clausing oder (vielleicht die stolzeste Ab-
zweigung) einfach das Bier von Bier . Ihre Beziehungen untereinander
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