Wanderungen durch die Mark Brandenburg
muß also wohl schon vorher gewesen
sein.«
»O lange vorher. Er war Minister bei Friedrich Wil-
helm II. oder, wie die Leute sagen, beim dicken Kö-
nig. Und sie sagen auch, er hätt ihm immer Hokus-
pokus vorgemacht und Geister und Gespenster, und
alles immer mit Weihrauch und Glasharmonika. Na,
vielleicht war es nicht so schlimm. Und das können
Sie glauben, Moll, er war gescheiter als manche, die
jetzt über ihn lachen. Is auch gar nicht zu verwun-
dern. Denn wie ging es denn? Erst war er bloß Haus-
lehrer und soll auch ein paarmal gepredigt haben,
und noch dazu ganz gut; aber zuletzt dacht er doch
wohl, ›es käme nicht viel dabei heraus‹, und heirate-
te lieber ein junges Fräulein von Itzenplitz. Auch die
Mutter, heißt es, war ihm nicht unhold. ›Nicht un-
hold‹ darf man am Ende sagen und ist ein statthafter
Ausdruck. Und als er nun das junge Fräulein geheira-
tet hatte (die Mutter nahm es alles in die Hand), da
wurd er Minister und regierte den preußischen Staat.
Und das kann doch schließlich nicht all und jeder.«
Ich hatte hierbei Molls unbedingte Zustimmung er-
wartet, aber diese blieb aus, und während er es vor-
zog, hin und her zu diplomatisieren, fuhren wir be-
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reits in Groß Rietz ein und hielten alsbald vor einem
Häuschen, das uns als das des Herrn Kantors be-
zeichnet worden war.
Ich stieg ein paar Stufen hinauf bis in den Flur und
wollte klopfen, aber ein Choral, der eben auf einem
kleinen Klavier gespielt wurde, hielt mich davon ab.
Endlich schwieg es drin, und ich trat ein.
Ein alter würdiger Herr empfing mich und hörte
wohlwollend, aber verlegen meinem Vortrage zu,
was mich schließlich selber verlegen machte. So
sehr, daß ich, wie gewöhnlich in solcher Lage, vom
Hundertsten aufs Tausendste kam. In diesem Mo-
mente höchster Bedrängnis erschien die Frau Kanto-
rin und sah mit dem den Frauen eigenen Scharfblick
auf der Stelle, daß es sich hier unmöglich um etwas
Bedenkliches handeln könne. Sie lud mich also zum
Sitzen ein, was seitens ihres Mannes noch nicht ge-
schehen war, und stellte nun ihre Fragen so ge-
schickt und so freundlich, daß ich mich rasch wieder
zurechtfand. »Ich fürchte nicht, Ihre Zeit allzulang in Anspruch nehmen zu müssen, eine Stunde, wenn's
hoch kommt. Ohnehin hängt die Sonne schon über
den Dächern drüben, und wenn wir auch Mondschein
und sogar Vollmond haben, so lassen sich doch alte
Bilder in solcher Beleuchtung nicht allzu gut studie-
ren, die Fenster mögen so hoch und breit sein, wie
sie wollen. Oder irr ich mich, wenn ich annehme, daß
sich die beiden Wöllner-Portraits in Ihrer Kirche be-
finden?«
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»Eines war in der Kirche, das in roter Uniform. Aber der Herr von der Marwitz hat es, als er das letzte Mal
hier war, ins Schloß bringen lassen, und da hängen
sie nun alle zusammen.«
»Ich wußte nur von zweien.«
»Ja, zwei Wöllner-Bilder... Ede, du könntest ins
Schloß gehen und um den Saalschlüssel bitten; es
wär ein Herr da, der die Bilder sehen wollte... Ja,
zwei Wöllner-Bilder, eines als Minister und eines aus
seiner Hauslehrerzeit, als er noch in Groß Behnitz
war. Ach du lieber Himmel, Groß Behnitz! Wie sich
doch alles ändert im Leben. Das war das Itzenplitzi-
sche Lieblingsgut, und nun hat es Borsig, und der
hat es auch nicht mehr, und ist bloß noch Sommer-
sitz und Villa für seine Witwe. Kennen Sie Groß Beh-
nitz?«
Ich nickte.
»Das also sind die beiden Wöllner-Bilder. Und auf
dem zweiten, in einem Talar oder Roquelaure, sieht
er eigentlich aus, als ob er ein Beichtvater wär oder
sonst was Katholisches. Und auch sehr hübsch. Es
sind aber außerdem noch zwei Bilder da, die mit da-
zu gehören, zwei Frauenbilder, und die Leute sagen,
das eine sei die Frau Generalin von Itzenplitz, die ja
so große Stücke von ihm hielt, und das andre sei das
Fräulein von Itzenplitz (die Tochter der Gnädigen),
die dann der Hauslehrer Wöllner, oder vielleicht war
er auch schon Domainenrat, geheiratet hat. Aber da
kommt Ede. Bringst du die Schlüssel?«
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»Nein. Aber es sei schon gut. Und der Herr solle nur
kommen.«
Auf diese Zusage hin erhoben wir uns, die Frau Kan-
torin und ich, und gingen nunmehr auf das Schloß
zu, das mir seiner großen Renaissancetreppe nach
aus der Zeit König Friedrichs I. zu stammen schien.
Ein Diener wartete schon und schloß einen Hochpar-
terresaal auf, aus dessen Fenstern ich einen Blick auf
einen
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