Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Wunderwerk
Und seines Herzens Augenmerk:
Ein Meisterstück , aus nichts gemacht,
So weit hat's Christi Blut gebracht;
Hier forscht und betet an ihr Seraphim,
Bewundert uns und danket ihm.
Auch in diesen Strophen mag sich ein starkes Anlehnen an einzelne Vorbilder aus dem hallensisch-
pietistischen Dichterkreise nachweisen lassen, aber
der Laie wird dadurch wenig gestört werden. Seine
Laienschaft kommt ihm und dem Dichter zustatten.
Das Maß unseres Wissens bestimmt auch das unsrer
Ansprüche. Je lebendiger jemand die großen Origina-
le , die Kraft- und Kernlieder deutscher Nation, gegenwärtig hat, desto ablehnender wird er sich gegen
Lieder verhalten, die für sein geübtes Ohr eben nur
ein Widerklang sind. Wer indessen weniger bewan-
dert darin ist, wird leichter befriedigt sein. In der
weltlichen Dichtung sehen wir Ähnliches. Wer den
Heine nicht kennt, erfreut sich auch an den Nachbil-
dungen desselben, wer ihn kennt, verhält sich ge-
gensätzlich gegen alles, was heinisiert.
2494
Gewiß – und damit schließen wir – ist Woltersdorf
nicht den großen Gestalten unter unsren Kirchenlied-
dichtern zuzuzählen, dazu war er zu wenig eine
Kraftnatur. Im Gegenteil, etwas Krankhaftes zieht
sich durch sein Leben und spiegelt sich auch in sei-
ner dichterischen Hyperproduktion. Aber zweierlei
muß ihm verbleiben, und während er immer als ein
Musterbeispiel für den wunderbaren Einfluß »des
geistigen Fluidums über die träge Masse« dastehen
wird, wird er andrerseits, wenigstens provinziell und lokal, eine hervorragende Bedeutung auf seinem
speziellen Gebiete beanspruchen dürfen. Mark Bran-
denburg hat auf dem Gebiete des Kirchenliedes keinen Besseren aufzuweisen, auch wohl keinen, der
sich neben ihm behaupten könnte.
Schloß Friedrichsfelde steht noch, wie es 1719
und 1735 aufgeführt wurde, das alte Pfarrhaus aber, abgelöst durch einen unmittelbar neben ihm entstandenen Neubau, ist längst hinüber. Ein Garten
füllt jetzt den Platz, wo das alte stand, und ein Birn-
baum blüht jeden 31. Mai an derselben Stelle, wo
Woltersdorf, der Dichter, geboren wurde.
2495
Rechts der Spree
Buch
Was sonst in Ehren stünde,
Nun ist es worden Sünde,
Was fang ich an!
Th. Storm
Zwei Meilen nördlich von Berlin liegt das Dorf Buch,
reich an Landschaftsbildern aller Art, aber noch rei-
cher an historischen Erinnerungen. Einer unserer
Lustgartenomnibusse führt den Reiselustigen über
Pankow und Schönhausen bis an die Grenze von
Französisch-Buchholz, etwa halber Weg; wir aber, in jenem stolzen Wandergefühl, das sich nach Strapazen sehnt, haben den Omnibus verschmäht und tref-
fen erst mit der untergehenden Sonne vor Buch ein.
Gleich der Eintritt ins Dorf ist malerisch. Eine Feld-
steinbrücke wölbt sich über ein Wässerchen, das
schäumend einen Bergabhang herniederkommt, die
Häuser steigen in leiser Schlängellinie bergan, und
nach links hin, als woll er das Dorf in seinen Arm
nehmen, zieht sich, waldartig, ein ausgedehnter
Park. Anders nach rechts hin, wo sich Wiesen und
Felder dehnen, deren Stille nur von Zeit zu Zeit das
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Rasseln eines vorüberfahrenden Eisenbahnzuges
unterbricht.
Wir haben die Feldsteinbrücke passiert und die Mitte
des Dorfes erreicht. Hier begegnen wir endlich einem
seit einer halben Stunde herangesehnten Bilde. Krip-
pen lehnen sich an die Wand, ein Planwagen steht
zur Seite, drauf ein Spitz die Wache hält, und von
über der Tür des Hauses her grüßt uns das Wörtchen
»Gasthaus«. Einige Stufen führen uns in den Flur
und der Flur wieder in die Küche, drin ein Dutzend
Hände geschäftig ist und das überkochende Wasser
eben in die Herdflamme zischt. Unbestimmte Vor-
stellungen von einem »Hier ist es gut sein« erfüllen
unser Herz; aber alle Zimmer im Hause sind bereits
vergeben (eine Hochzeit ist im Dorf), und so haben
wir uns schließlich noch zu beglückwünschen, uns
von der freundlichen Frau Wirtin ein Abendbrot und
ein Strohlager samt ein paar Decken zugestanden zu
sehn.
Und nun beurlauben wir uns, um unsern ersten Gang
in den Park zu machen.
Die Zeit des Sonnenuntergangs ist die geeignetste
dazu – die grauen Schleier des Abends sind es, die
diesem Parke kleiden. Wo Springquellen hoch in die Luft steigen und des Lichts bedürfen, um in allen
Farben zu schillern, wo Blumenvierecks in den Rasen
eingewoben sind oder Statuen in den grünen Nischen
stehen, da mag es geraten sein, um Morgen-
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