Wanderungen durch die Mark Brandenburg
weniger gedacht, als Verse zu
machen. Aber es fiel mir plötzlich ins Gemüt und
regte sich ein Trieb, daß ich die Feder ergreifen muß-
te. Ein andermal hatt ich keine Lust; aber es war, als
müßt ich wider Willen schreiben. Zuweilen war ich
von vieler Arbeit ganz entkräftet, allein es wurde mir
eine Materie so lebendig und floß so ungezwungen
und ohne Müh in die Feder, daß es schien, ich könnte
das Schreiben nicht lassen. Ja, ich muß gestehen,
daß mir's oft wie ein Brand im Herzen gewesen, und
mehrmalen mußt ich mich mit Gewalt zurückziehen,
damit ich mich nicht übernähme oder meine Natur zu
sehr schwächete. Wollt ich zuweilen drei Verse
schreiben, so wurden gleich zwölf, fünfzehn oder gar
dreißig daraus. Manches Mal konnte die Feder dem
schnellen Zuflusse nicht einmal folgen. Oft mußt
ich's, wenn ich so hintereinander geschrieben, erst
überlesen, um zu wissen, was es wär, und mich dann
selbst wundern, daß das da stund, was ich fand. Und
so sind diese langen Lieder der ersten Sammlung
entstanden. Ich nahm mir vor, ein Lied in gewöhnli-
cher Größe zu schreiben, aber wenn ich hineinkam,
sind oft vierzig, fünfzig, hundert, zweihundert und
mehr Verse fertig geworden.«
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Er fährt dann fort:
»Was ich in so großer Geschwindigkeit niederge-
schrieben, ich hab es hinterher vielmal durchgelesen,
einiges oft umgeschmolzen, anderes lange liegenlas-
sen; aber das ist wahr, daß ich anderes, das so recht
aus dem Herzen gequollen, nie geändert habe. Die
Ursach ist, weil das am ersten und natürlichsten wie-
der in die Herzen hineinfließet, was ohne Zwang he-
rausgeströmet ist... Fraget nur die Dichter dieser
Welt, ob sich nicht Ähnliches bei ihnen findet, wenn
sich ein poetisches Feuer bei ihnen reget. Und was
soll nicht erst der herrliche Geist des lebendigen Got-
tes tun, wenn er die natürlichen Triebe zur Dicht-
kunst mit seinen Kräften anfeuert!
Es bleibt mir eine unumstößliche Wahrheit, daß alle
vernünftigen Regeln der Dichtkunst sehr gut sind
und von einem Dichter nach seiner Gelegenheit mit
großem Nutzen gebraucht werden können, daß aber
dennoch das Göttliche in der Dichtkunst nicht anders
als auf den Knien gelernt werden kann. Denn wenn
der Geist aller Geister das Herz des Poeten nicht ent-
flammt, so weiß ich nicht, ob ich die erhabenste Poe-
sie überhaupt noch eine göttliche nennen kann... Die
Heiden haben von ihren toten Götzen treulich gesun-
gen. Aber so viele Dichter unter den Christen wissen
von ihrem lebendigen Gott, von dem Gott aller Göt-
ter, ja von ihrem Mensch gewordenen Gott, der am
Kreuz in seinem Blute für sie gestorben, nichts zu
sagen. Sie holen lieber vermoderte Stücke von den
verfaulten Götzen der Heiden und schmücken sie,
dem Gott Israels zum Hohn... Ein berühmter Günther
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will lieber der Venus zu Ehren als zum Ruhm des
Kreuzes singen; aber die Reime Hans Sachsens ma-
chen alle Werke Günthers zuschanden, weil doch so
manche Seele daran selig glauben kann.«
Soweit er selbst. Man muß es ihm lassen, daß er
seine Sache gut zu führen weiß; bescheiden und be-
wußt – jedes an rechter Stelle. Dabei kann einem
aufmerksamen Leser nicht entgehen, daß er in dieser
Rechenschaftsablegung alle die Punkte in den Vor-
dergrund stellt, über die die Meinungen auseinander-
gehen können. Er war eben ein christlicher »Impro-
visator«, ja, in allen Ehren sei es gesagt, eine Art
von Psychographendichter und ließ die Feder laufen.
Wir kommen an anderer Stelle darauf zurück.
Alles, was wir aus ihm zitiert haben, ist einer Vorrede entnommen, die er im Jahre 1750 schrieb. Er war
damals fünfundzwanzig Jahr alt, predigte seit sechs
Jahren und war im Amte seit drei, hatte Frau und
Kind und konnt auf eine literarische Tätigkeit zurück-
blicken, die bereits damals über 200 Lieder umfaßte,
mehrere davon über 200 Strophen lang. Eine Pro-
duktionskraft, die wohl kein anderer deutscher Dich-
ter aufzuweisen hat, auch nicht die Meistersänger,
an deren Dichtungsart die didaktische Weise Wol-
tersdorfs am meisten erinnert.
Seine poetische Tätigkeit war übrigens im großen
und ganzen mit 1750 abgeschlossen. Es waren ihm
noch elf Lebensjahre beschieden, aber die Mühen
und Sorgen des Amtes wurden doch so übermächtig,
daß selbst sein lebendiger Strom versiegte. Er trat 2490
1755 an die Spitze des nach dem halleschen Vorbild
errichteten Bunzlauer Waisenhauses und wirkte
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