Wanderungen durch die Mark Brandenburg
den
Rhein hinunter und jetzt die Themse hinauf, hinauf
bis an die Londonbrücke, wo die Barken den Strom
sperren und die hundert Masten der Schiffe seinen
Blick bezaubern und verwirren. Die Treppe steigt er
hinan, die halb ausgewaschen zum Quai hinaufführt,
und das Geräusch der City nimmt ihn auf. Immer
wachsenderes Gedränge umwogt ihn hier, und end-
lich Stand nehmend auf der Hügelkuppe von Ludgate
Hill, wo eben die Quadersteine geschnitten werden,
aus denen dereinst die neue Paulskirche sich aufrich-
ten soll, sieht er jetzt, von einem der hohen Stein-
blöcke aus, die Lord-Mayors-Prozession in altertümli-
chem Pomp an sich vorüberziehen. Die Themseschif-
fer in roten Röcken eröffnen den Zug, dann schmet-
tern Pauken und Trompeten, bis endlich aller andre
Lärm in dem Jubelgeschrei des Volkes erstickt, denn
schwerfällig, aus Eichenholz geschnitzt, schwankt
eben die vergoldete Kutsche heran, und der erwähn-
te Cityherrscher grüßt mit gravitätischem Kopfnicken
nach rechts und links.
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Vereinzelte Kuckucksrufe klingen jetzt leis und wie
aus weiter Ferne her herüber, und siehe da, der
kranke Poet unterbricht sich in seinem Figurenzeich-
nen und horcht auf. Aber wie die Seele gern wieder
anknüpft an das, was ihr lieb geworden, so fällt er
alsbald auch in altes Sinnen und Träumen zurück.
Immer lachendere Bilder ziehen herauf. Es ist wieder
ein Festzug, eine Prozession, aber diesmal auf heimi-
schem Grund und Boden, und der Gefeierte ist er
selbst. Ein Junitag ist's wie heute, nur um so viel
heiterer und schöner, als die Augen damals heller in
den Tag hineinsahen: denn neben ihm auf dem brei-
ten Sitze des Wagens, auf dem er eben einfährt in
die festgeschmückte, mit Laubgewinden überspannte
Dorfgasse, sitzt seine heißgeliebte Braut, seit gestern sein Gemahl. Sie zählt nicht zu den leuchtenden
Schönheiten, aber sie hat jenen blendenden Teint,
der der Schönheit nahekommt. Ihre blühenden Wan-
gen wurden rosiger von der Fahrt, und das rotblonde
Scheitelhaar flattert halb aufgelöst im Winde. Bauern
zu Pferd und mit bebändertem Hute folgen dem Zu-
ge, Frauen im Sonntagsstaat stehn in den Türen o-
der am Heck und heben die Kinder in die Höh, die
Störche klappern auf allen Dächern, als hätten sie
mitzureden bei solchem Einzug, und die Feldlerchen
begleiten von draußen her den Zug und erzählen sich
hoch oben von dem Glück, das sie drunten gesehn.
Und ein volles Glück war es, das sie sahn, nicht spär-
lich zugemessen wie sonst wohl. Denn nicht über
kurze Tage hin dehnte sich die Zeit der Flitterwo-
chen, und Blumberg, wie es der tägliche Zeuge voll-
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kommener Eintracht und innigsten Zusammenlebens
wurde, wurd auch ein gefeierter Sitz edler Gast-
freundschaft, ein Mittelpunkt geistigen Lebens, dichterischen Schaffens , wie damals kein zweiter in Mark Brandenburg zu finden war. Johann von Besser, Eusebius von Brandt waren oft und gern gesehene Gäs-
te, und von hier aus ergingen an den vielbewährten
Jugendfreund und Studiengenossen unsres Poeten,
an den Kirchenrat Zapfe in Zeitz, oft wiederholte
Einladungen, »das Harfenspiel aufs neu von der
Wand zu nehmen und das Hoflager in Blumberg zu
beziehen«. Briefe wurden mit einer gewissen Regel-
mäßigkeit gewechselt, und als die Schilderungen
ehelichen Glücks, die Canitz regelmäßig mit einem
»Nun gehe hin und tue desgleichen« zu schließen
pflegte, endlich ihren Einfluß geübt und den ehrbaren
Magister und Kirchenrat auch an den Altar geführt
hatten, da ging von Blumberg ein Gratulationsbrief
folgenden Inhalts nach Zeitz: »Deine Heirat und die
Art derselben gefällt mir sehr wohl; weil Du mir aber
Dein Sach ohne sonderliche Umstände schlechthin
berichtet hast, so will auch ich Dir in Kürze nur, aber doch immer von Herzen, Glück und Vergnügen wünschen und daß Deine Liebste, wo nicht ein fruchtba-
rer Weinstock, so doch ein immergrüner Tannen-
baum sei, dem es an Zapfen niemals fehlen möge.«
So gingen die Tage. Ein volles Glück war es, ein Glück über Jahre hin und doch zu kurz für das benei-dete Paar, das in seltnem Gleichklang zusammen-
stimmte. Der alte Neider Tod trat zwischen sie, mit-
leidslos und unerbittlich, und in Erinnerung an jene
Tage schwindet ihm jetzt der heitre Traum, und trü-
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be Bilder ziehen in seiner Seele herauf. An dem La-
ger einer Sterbenden kniet er. »O daß du bleiben
könntest!« klingt es bittend von
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