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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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seinen Lippen; sie
    aber schüttelt den Kopf und spricht: »Du bist so oft
    von mir gegangen, nun geh ich von dir; sieh, ich
    schlafe schon.« Und danach entschlief sie wirklich,
    ohne Zucken und ohne Schmerz.
    Das einförmige Rufen des Kuckucks klang lauter und
    näher jetzt, und Canitz richtete sich auf, als woll er
    die Rufe zählen. Da schwieg der Kuckuck. Ein weh-
    mütiges Lächeln umspielte seine Lippe; dann schritt
    er durch die Gänge des Parks in das Herrenhaus und
    seine Stille zurück.
    Das war am letzten Junisonntage 1699. Am
    11. August desselben Jahres begegnen wir ihm noch
    einmal. Seine Kräfte waren schwächer geworden,
    und das heitere Poetenherz, das einst mit tausend
    Wünschen an das Leben gekettet war, es hatte nur
    noch einen Wunsch: zu sterben, wie die teure Heim-
    gegangene vor ihm gestorben war. Und dieser letzte
    Wunsch ward ihm erfüllt. Am frühen Morgen des ge-
    nannten Tages stand er auf, ließ sich völlig ankleiden
    und trat an das Fenster, das er öffnete, um frische
    Luft zu schöpfen. Die Sonne ging eben auf, und mit
    freudigem Staunen genoß er ihrer Pracht. Als er eine
    Weile hineingeblickt, rief er mit erhobener Stimme:
    »Wie schön ist heut der Himmel«, und sank, von
    einem Schlagfluß getroffen, tot zur Erde.
    So starb »Canitz, der Poet«. Schon am Tage darauf
    wurd er in der Marienkirche beigesetzt. Eine Woche

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    später hielt ihm Spener in der Nikolaikirche die Ge-
    dächtnispredigt; den Inhalt seines Lebens aber stel-
    len wir zu folgender Grabschrift zusammen:
    »Friedrich Rudolf von Canitz, Seiner Kurfürstlichen
    Durchlaucht zu Brandenburg wohlbestallter Gehei-
    merat und Staatsminister, geboren zu Berlin (nach
    anderen zu Lindenberg bei Berlin) den
    27. November 1654, gestorben den
    11. August 1699, im fünfundvierzigsten Jahre seines
    Alters. Was das Leben erhöht und verschont, das
    übte und pflegte er. Er liebte die Kunst und die Men-
    schen; die Freundschaft hielt er hoch, die Treue am
    höchsten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher
    Sinn, ein kindliches Herz. Er liebte die Welt, aber er
    empfand ihre Eitelkeit; Glaube und Sehnsucht wuch-
    sen in seinem Herzen und trugen ihn aufwärts.«1)

    Ich hab in vorstehendem den Menschen Canitz als eine liebenswürdige, fein und innerlich angelegte
    Natur zu schildern versucht; es bleibt noch die Frage
    übrig nach seiner politischen Bedeutung und nach seinem poetischen Wert. War er ein Staatsmann?
    war er ein Poet? Das erstere gewiß, das zweite kaum
    minder.
    Die Natur schien ihn für die diplomatische Laufbahn
    im voraus geschaffen zu haben, und die komplizier-
    ten Verwandtschaftsgrade, darin er stand (auch die
    Mutter seiner Frau war dreimal verheiratet gewe-
    sen), hatten von Jugend auf dahin gewirkt, diese

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    seine natürliche Beanlagung auszubilden. Eine uns
    aufbewahrte Charakteristik seines Wesens zeigt am
    besten, wie außerordentlich er sich für seine Lauf-
    bahn eignete, darin, damals ungleich mehr noch als
    jetzt, alles an dem Erkennen und der richtigen Be-
    nutzung von Persönlichkeiten gelegen war. »Er war
    gesprächig, höflich, frei von Eigensinn und Wider-
    spruchsgeist , für jedermann gefällig und aufmerksam, Fähigkeiten und Neigungen leicht durchschau-
    end, jedem Gegenstande wie jedem Verhältnisse sich
    leicht bequemend – ein vollkommener Mann von
    Welt . Seine Rechtschaffenheit, sein Haß gegen Lüge und Zweideutigkeit unterstützten ihn eher, als daß
    sie sein Auftreten gehemmt, seine Erfolge behindert
    hätten. Bei großer Leichtigkeit war er von vorsichti-
    ger Haltung; er wußte Ernst und Sanftmut zu verei-
    nen, um zu überreden und zu gewinnen. Im Frieden-
    stiften, Vermitteln und Versöhnen besaß er ein einziges Talent .« Die Inschrift unter dem Bildnis der alten Frau von Burgsdorf hatte also völlig recht, von ihm
    als von dem »klugen Staatsminister von Canitz« zu
    sprechen; aber er suchte, wie schon angedeutet,
    diese Klugheit nicht in jener Kunst der Täuschung,
    am wenigsten in jenem Intriguenspiel, das damals
    an den Höfen blühte. Er kannte dies Spiel und war
    ihm gewachsen, aber sein redlicher und reiner Sinn
    lehnte sich gegen diese Kampfesweise auf. Deshalb
    zog es ihn immer wieder in die Stille und Unabhän-
    gigkeit des Landlebens und in einfach natürliche Ver-
    hältnisse zurück. »Der Hof« – so schrieb er bald nach
    dem Tode des Großen Kurfürsten – »hat wenig Reiz
    für mich, und ich betrachte die Würden und Ämter,
    die andere so eifrig

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