Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Warnowichen,
    und Warnowichen = Werneuchen.
    Werneuchen gehörte wie Zossen, Trebbin, Baruth
    u. a. m. zu jenen bevorzugten Ortern, die sich ohne
    besonderes Verdienst, in jener kurzen Epoche, die
    zwischen dem Sandweg und dem Schienenweg lag

    2564
    und die man das Chaussee-Interregnum nennen
    könnte, zu einer gewissen Reputation emporarbeite-
    ten. Und vielleicht wurde dies Grund und Ursach, daß
    man, als das eherne Zeitalter der Eisenbahnen wirk-
    lich anbrach, den Ruin Werneuchens für gekommen
    hielt und vor seiner Zukunft (denn die Bahn nahm
    eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte sich dar-
    an gewöhnt, Werneuchen und Passagierstube für
    identisch anzusehen; nun beseitigte man diese mit
    einem Federstrich, und die Frage trat bang an jedes
    Herz: »Was bleibt noch übrig? was wird?« Aber die
    Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die
    Furcht war, wie immer, schlimmer gewesen als die
    Sache selbst, und Werneuchen blieb im wesentli-
    chen, was es vorher gewesen war. Die Fruchtbarkeit
    der Äcker und der Fleiß der Bewohner deckten als-
    bald das Defizit, wenn überhaupt ein solches ent-
    stand, und der freundlichen Häuschen mit Ziegeldach
    und grünen Jalousien wurden nicht weniger, sondern
    mehr.
    In der Tat, Werneuchen gewährt den Anblick eines
    sauberen und an Wohlhabenheit immer wachsenden
    Städtchens. Aber es ist doch nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leser zu
    führen gedenke, vielmehr gehen wir um siebzig Jahr
    in seiner Geschichte zurück und rüsten uns zu einem
    Besuch in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieses Jahrhunderts war.
    Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die
    Chaussee, die noch gar nicht vorhanden oder doch
    erst im Bau begriffen war, hatte noch nicht Zeit ge-

    2565
    habt, die Fensterladen mit dem roten Anstrich und
    den eingeschnittenen Herzen zu verdrängen, und die
    Strohdächer mit ihrem Storchennest und ihren schief
    stehenden Schornsteinen überhoben den Besucher –
    trotz der zwei Bürgermeister, die Werneuchen da-
    mals hatte – der jetzt so heikel gewordenen Frage
    von »Dorf oder Stadt«. Keine Schützengilde paro-
    dierte zu jener Zeit mit Sang und Klang durch die
    Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein
    Schuß fiel, so wußte man, daß es die Büchse des
    Försters sei, der am Gamen-Grunde, hart an der
    Stelle, wo der Weg nach Freienwalde hin abzweigt,
    sein unter Tannen geborgenes Häuschen hatte.
    Keine Schützengilde gab es, auch keinen Veteranen-
    verein, aber etwas anderes, eine Kuriosität, ein Rest-
    chen Mittelalter und Femgericht, das sich aus unvor-
    denklicher Zeit, allen Einflüssen des nivellierenden
    achtzehnten Jahrhunderts zum Trotz, an diesem stil-
    len Ort erhalten hatte. Dies Femgericht im kleinen
    war die sogenannte »Wröh«. Zu festgesetzten Zei-
    ten, aber immer nur im Sommer, versammelten sich
    die Bürger-Bauern auf einem von alten Linden über-
    schatteten Platze, der ziemlich in der Mitte zwischen
    dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer gelegen war.
    Unter den Bäumen dieses Platzes, nach der Kirch-
    hofsseite hin, lagen vier abgeplattete Feldsteine, die
    man durch aufgelegte Bretter in ebenso viele Bänke
    verwandelte, wenn eine »Wröh« abgehalten werden
    sollte. Was in alten Zeiten in diesen Geschwornenge-richten besprochen und bestimmt ward, ob jemals
    ein Werneuchener Bürger-Bauer das bekannte Mes-
    ser in den Baum am Kreuzweg gebohrt oder nicht,

    2566
    wird wohl nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelan-
    gen, unsere Kenntnis über die Sitzungen der Wer-
    neuchener »Wröh« datiert erst aus den unromanti-
    schen Zeiten des Allgemeinen Landrechts, wo ganz
    Werneuchen und natürlich auch die »Wröh« unter die
    stille Superintendenz eines Magistrats und der schon
    vorerwähnten Doppel-Bürgermeisterei gekommen
    war. Die Gerichtsbarkeit der »Wröh« war eine durch-
    aus enge geworden und beschränkte sich darauf, in
    wöchentlichen oder monatlichen Sitzungen den
    Schadenersatz festzustellen, den das Vieh des einen
    Bürgers oder Bauern den Feldern oder sonstigem
    Besitztum des andern zugefügt hatte. Stimmen-
    mehrheit entschied, und ohne Streit oder weiteren
    Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten dreißig
    Jahre haben uns in den »Schiedsgerichten« etwas
    Ähnliches wiedergebracht, aber was dieser trefflichen
    Neuschöpfung im Vergleich zu jener alten fehlt, ist
    die fremd und mystisch klingende Bezeichnung, und
    wir begreifen vollkommen den Stolz eines

Weitere Kostenlose Bücher