Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Werneu-
cheners, der von den Zeiten der »Wröh« spricht wie
ein Lübecker von der Hansa und ihrer Ostseeherr-
schaft.
Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch seinen
Lindenplatz zwischen Pfarrhaus und Kirchhof und,
was mehr sagen will, auch noch die vier Feldsteine
und sein »Wröh«. Wir kommen aber nicht in heißer
Junischwüle von Berlin, um einer Sitzung des letzten
Ausläufers der Feme voll Schweigen und Ehrerbie-
tung beizuwohnen – wir haben ein andres Ziel vor
Augen: einen Besuch in der Pfarre.
2567
Dorf Blumberg liegt längst hinter uns und nun auch
Seefeld und Löhme, zwei Zwillingsdörfer, die von
hüben und drüben ihre völlig gleichen Kirchturmspit-
zen im Wasser des Löhme-Sees spiegeln. Aber der
Werneuchner Kirchturm neckt uns noch immer, und
ermüdet vom langen Marsche, halten wir inne, stüt-
zen uns, nach hinten übergebogen, auf unseren
Stock und lüften mit der Linken den Hut, um uns die
Stirne vom Winde kühlen zu lassen. Da plötzlich ist
es, als hörten wir etwas wie Peitschenknall und Pfer-
deschnaufen, und zurückblickend bemerken wir ei-
nen offenen Wagen, der, den Sand des Weges auf-
wirbelnd, in raschem Trab uns folgt. Und im nächs-
ten Augenblicke schon ist er so nahe, daß wir seine
Insassen bequemlichst zählen können. Es sind ihrer
fünf. Vorne der Kutscher mit zwei blondköpfigen
Jungen und dahinter, auf dem eigentlichen Sitze des
Wagens – der in vier Lederriemen hängt und bei je-
der Bewegung hin- und herschaukelt –, ein wohlge-
nährtes Ehepaar, allem Anscheine nach zwischen
dreißig und vierzig. Die Frau hält einen aufgespann-
ten Regenschirm, den sie mit vielem Geschick à deux
mains zu gebrauchen weiß, indem sie das rote Dach
als Schutz gegen die Sonne, den Griff aber als
Krückstock benutzt, um die beiden Jungen in Ord-
nung zu halten, die des eng zugemessenen Raumes
halber in beständiger Fehde sind und aller Contrôle
zum Trotz ihren still erbitterten Kampf mit den Ellen-
bogen fortsetzen. Zwischen der Sitzbank und dem
schrägen Hinterteile des Wagenkorbs ist noch ein
leerer Raum, und unsere Kenntnis ähnlicher Fuhr-
werke läßt uns erraten, daß hier ein Häcksel- oder
Futtersack verborgen sein müsse, der schließlich
2568
nichts dagegen haben würde, wenn wir uns ent-
schlössen, die letzte Viertelmeile des Wegs auf sei-
nem Polster zurückzulegen. Und wirklich, wir
schwingen uns hinein, und unsere Tarnkappe hervor-
ziehend, unser selbstverständliches und allerwich-
tigstes Reisenecessaire, sitzen wir jetzt unbemerkt
auf dem Häckselsack und werden zu glücklichen
Zeugen all der kleinen Erziehungs- und Unterhal-
tungsszenen, die sich mehr und mehr zu einer ge-
mütlichen Familienkomödie gestalten.
Unmittelbar vor uns, auf einer für unsere Füße frei
gebliebenen Stelle, liegt ein Spielzeug, jenes mit
Glöckchen und Schellen behängte Blechinstrument,
das unter dem Namen der »Janitschar« das Entzü-
cken aller Kinderherzen bildet. Der Raum ist so eng,
daß wir's trotz äußerster Vorsicht nicht vermeiden
können, die Glöckchen gelegentlich zu berühren, und
jedesmal, wenn es klingelt und tingelt, drehen sich
alle fünf Köpfe nach uns um, in leiser Ahnung, daß es
auf dem Häckselsacke nicht ganz richtig sei. Diese
Kopfwendungen, die der starken Frau jedesmal äu-
ßerst schwer werden, geben uns eine gute Gelegen-
heit, unsere bis dahin nur von Rücken und Seite her
gesehene Reisegesellschaft auch en face kennenzu-
lernen und uns über den Ausdruck des Behagens als
eines charakteristischen Familienzuges zu vergewis-
sern. Die beiden Jungen sind unzweifelhaft Zwillinge;
der Mutter, einer hübschen blonden Frau, rollen die
Schweißtropfen wie Freudentränen von der Stirn,
und ihr Ehegemahl zur Rechten zeigt uns jenes
wohlbekannte, aus Würdigkeit und Sonnenbrand
zusammengesetzte Gesicht, das alle ländliche Beam-
2569
te zu haben pflegen, denen der Dienst in der Amts-
und Gerichtsstube die Zeit zu Schnepfen- und Enten-
jagd nicht allzusehr verkürzt. Und so fehlt denn
nichts mehr als die namentliche Vorstellung: Amt-
saktuarius Bernhard aus Löhme nebst Frau und Fa-
milie, die sich gleich nach Tisch auf den Weg ge-
macht haben, um dem befreundeten Pfarrhause zu
Werneuchen, wo heute Geburtstag ist, einen Besuch
abzustatten.
Die beiden Braunen traben tüchtig weiter, der kleine
Streit zwischen dem Ehepaar, ob »Pät Ulrich« heute
neun oder erst acht Jahre geworden sei,
Weitere Kostenlose Bücher