Wanderungen durch die Mark Brandenburg
reizenden
Szene, da knickt es dicht neben uns im Unterholz,
und das rasche, laut-ängstliche Atmen einer Asthma-
tischen läßt keinen Zweifel darüber, wer im Anzuge
sei. Wirklich, ihre Zwillinge vorauf, den Ehgemahl mit
der Janitschar unmittelbar hinter sich, ist die Frau
Amtsaktuar auf die Waldwiese getreten. Und vor
ihrer Erscheinung ist der Zauber entflohen. Der Rin-
gelreihen schweigt, die Werneuchner Dorfjugend hat
ihr Elfentum abgestreift, und das gesamte junge Volk
stürzt mit Jubelgeschrei den Ankommenden entge-
gen.
Wir sind nicht Zeugen der Begrüßungsszene, die nun
folgt, sehen nicht, wie der reizende Blondkopf, der
noch eben auf einem Elsenstumpfe stand, das be-
wunderte Geschenk aus den Händen seines Paten
entgegennimmt, und beteiligen uns noch weniger an
»Hirsch und Jäger« oder gar an dem Wettkampfe,
der abschließend zwischen den Horatiern oder Curia-
tiern von Werneuchen und Löhme zur Aufführung
kommt – wir gönnen den Alten am Feuer ihr Geplau-
der und den Kindern im Wald ihre Lust und gesellen
uns ihnen erst wieder, als sie gegen Abend, unermü-
det vom Singen und Springen, ihren Heimmarsch
antreten. Halben Weges zwischen dem Garnen-
Grund und Werneuchen begegnen wir ihnen und las-
sen den phantastischen Zug an uns vorüberziehn.
2573
Voran Klein-Ulrich, der Held des Tages. Unmittelbar
hinter ihm die Zwillinge, von denen einer auf einem
Kaffeetrichter bläst. Und nun der Fahnenträger, ei-
nen Birkenbusch vor sich. Andre folgen mit zinner-
nen Bechern und blechernen Löffeln – alles in allem
ein Bacchuszug aus jenen Regionen, wo das Besing-
kraut an die Stelle des Weinlaubs tritt.
Neben dem Zuge her mahlt der Löhmer Amtswagen.
Unsere stattliche Freundin, die seit dem Abendgange
durchs Korn, auf dem sie sich verlobte, nie mehr
einen Spaziergang wagte, thront mit dem Ausdruck
wachsenden Behagens auf ihrem Wagensitz, und
gelegentliche Zurufe, die sich auch jetzt noch auf nicht abzureichende Distance der Erziehung ihrer
Zwillinge widmen, geben ihr mehr Befriedigung als
Verdruß. Eine kurze Strecke hinter dem Zuge folgen
die Männer in lebhaftem Gespräch, und der Amtsak-
tuar, der die Berliner Zeitung hält, rektifiziert die
rechte Flügelaufstellung bei Wagram, »ein Fehler,
den er dem Erzherzog Karl nie zugetraut hätte«. Ne-
ben ihnen her aber, gleich unangefochten durch die
Fehler bei Wagram wie durch die Korrekturen des
Amtsaktuars, trottet Boncœur, aller Liebling und Ver-
traute, mit einem so ehrlichen Pudelgesicht, als hab
er's jedem einzelnen versprochen, für verlorene Tü-
cher und Schuhbänder mit seiner Person aufkommen
zu wollen.
Dämmerung liegt auf der Dorfstraße. Die Spielge-
fährten schlüpfen rechts und links in Hof und Türe,
während unsere Freunde vor der Pfarre halten.
2574
Die Sterne ziehen herauf, und es wird still in Dorf
und Haus.
So sah es im Sommer 1809 in Werneuchen aus, all-
wo der vielgenannte »Pastor Schmidt von Werneu-
chen« damals im Amte war. Ich glaubte den Mann,
dem diese Darstellung gilt, nicht besser einführen zu
können als durch ein Bild, das ihn uns in Wald und
Feld und im Kreise der Seinen zeigt. Eine kindliche
Natur, hing sein Herz an dem Stilleben der Familie.
Bevor ich seine Charakteristik versuche, schick ich
eine Zusammenstellung des biographischen Materials
vorauf, das ich über den äußerlichen Gang seines
Lebens erhalten konnte.
Friedrich Wilhelm August Schmidt, genannt Schmidt
von Werneuchen, wurde den 23. März ( nicht
Mai) 1764 in dem reizend gelegenen Dorfe Fahrland1)
bei Potsdam geboren. Sein Vater war Pfarrer da-
selbst. Von den glücklichen Tagen seiner Kindheit
erzählt uns eine seiner gelungensten Idyllen: »An
das Dorf Fahrland«:
Ach, ich kenne dich noch, als hätt ich dich gestern verlassen;
Kenne das hangende Pfarrhaus noch mit verwittertem
Rohrdach.
Wo die treuste der Mütter die erste Nahrung mir
2575
schenkte.
Es scheint, daß er den Vater frühzeitig verlor, denn
er kam schon um 1775 auf das Schindlersche Wai-
senhaus nach Berlin, wo der spätere, gleichfalls als
Dichter ausgezeichnete Staatsrat Friedrich August
von Stägemann, eines uckermärkischen Predigers
Sohn, sein Mitschüler war. Ob er, wie dieser, auf
dem »Grauen Kloster« oder aber auf einer anderen
Schule seine Gymnasialbildung vollendete, konnt ich
nicht ersehen. Etwa um 1785 ging er nach Halle,
daselbst Theologie zu studieren. Seine Lage muß um
jene Zeit
Weitere Kostenlose Bücher