Wanderungen durch die Mark Brandenburg
damit schloß unser Gespräch. Ich dankte für
gütigen Bescheid und schritt auf das rote Haus zu,
freudig gehoben in meinem Gemüt und wie Ibykus
»des Gottes voll«. Nicht gerade von Liedern, aber
doch von Hoffnungen und Bildern. Ich sah schon die
verfallene Grufttreppe samt den drei Särgen vor mir
und las dem alten Minister seine mit ins Grab ge-
nommenen Geheimnisse von der Stirn herunter.
Entdeckungen schossen auf wie die Knospen nach
einem Frühlingsregen.
Und so stand ich vor maison rouge.
»Kann ich den Herrn Kantor sprechen?«
Ich griff absichtlich nach dieser höheren Titulatur.
Ein Hin- und Herlaufen entstand infolge meiner Fra-
ge, zuletzt aber erschien ein kleiner Herr mit intelli-
genten Augen und milzfarbenem Teint, um nach
meinem Begehr zu fragen.
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»Es handelt sich für mich«, hob ich, den Hut zie-
hend, mit aller mir zuständigen Artigkeit an, »um
den Staatsminister von Fuchs. In der Gruft Ihrer Kir-
che...«
»Ist zugeschüttet.«
Ich war einen Augenblick dacontenanciert, mehr
noch durch den Ton als durch den Inhalt dieser zwei
Donnerworte. Wer aber weiß, daß das Menschenherz
nicht gerne von Lieblingsvorstellungen läßt und nach
dem Hinschwinden von Dingen und Ereignissen sich
schließlich auch mit Betrachtung ihres bloßen Schauplatzes zufriedengibt, der wird es begreiflich finden, daß ich nicht ohne weiteres das Feld zu räumen Lust
hatte. Konnt ich nicht die Gruft haben, so wollt ich
wenigstens die Gruft stelle haben, und so rekolligiert ich mich und sagte: »Wie schade. Dann bitt ich Sie,
mir wenigstens die Kirche zeigen zu wollen.«
»Ich kann nur wiederholen«, klang es jetzt unter
immer sichtbarer werdenden Zeichen von Ungeduld,
»daß die Gruft zugeschüttet ist. In der Kirche selbst
befindet sich nichts. Ein Besuch würde mithin ohne
Resultat für Sie verlaufen. Auch hab ich Schule.«
»Sie mißverstehen mich. Es liegt mir fern, Sie per-
sönlich inkommodieren zu wollen. Aber ich komme
bei Wind und Wetter von Berlin und bitte Sie des-
halb, mir durch irgend jemand die Kirchentür auf-
schließen zu lassen.«
»Durch wen?«
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»Vielleicht durch ein Kind oder eine Magd.«
»Hab ich nicht.«
Und nach dieser Schlußbemerkung zog er sich intel-
ligenter und milzfarbener als vorher in seine Schul-
stube zurück.
Mein erstes war ein heißes Dankgefühl dafür, zu keiner Zeit, am wenigsten aber in der jetzigen, auf der
Malchower Schulbank gesessen zu haben; mein
zweites : Haß und Rache. Die ganze Reihe der
Schulmeister durchgehend, deren Bekanntschaft ich
in Leben oder Dichtung je gemacht hatte, konnt ich
doch keinen finden, der mir – mit alleiniger Ausnah-
me des maître d'école in den »Geheimnissen von
Paris« – gleich verabscheuungswürdig erschienen
wäre. Ja, meine Neigung, zu generalisieren und vom
Einzelfall aufs Ganze zu gehen, ließ mich Augenblicks
wieder die Frage stellen, ob ein solches, aus bloßem
verschrobenen Dünkel hervorgegangenes Benehmen
unter andern Völkern überhaupt möglich sei. »Nein«,
sagt ich mir, »unter den Romanen gewiß nicht.« A-
ber inmitten all meiner Verwünschungen mußt ich
doch plötzlich der Auslassungen eines alle Wechsel-
fälle des Lebens unter die statistisch-philosophische
Loupe nehmenden Freundes gedenken, der mir ein-
mal gesagt hatte: »Sehen Sie, Freund, auch in den
Zufällen und Unglücksfällen waltet ein Gesetz. So
verfolg ich beispielsweise die Theaterbrände. Alle
funfzehn Jahre brennt ein großes Theater ab. Nicht
öfter, aber auch nicht weniger oft.« Und nun entsann
ich mich des wenigstens für mich kaum minder inte-
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ressanten und kaum minder wichtigen Punktes, ge-
rade funfzehn Jahre lang immer nur an freundliche
Schulhäuser angeklopft zu haben. Was war es denn
also groß? Der Ausnahmefall war in sein geheimnis-
volles Recht getreten; das Gesetz vollzog sich. Die
funfzehn Jahre waren um, und mein »Theaterbrand«
war da. Das gab mir die gute Laune wieder, und ich
beschloß, »in Sachen der Gruft« einfach an die höhe-
re Instanz des Pfarrhauses zu appellieren.
Wenige Schritte führten mich auf den Hof desselben.
Ein kleiner braunhaariger, übrigens ebenfalls intelli-
gent aussehender Spitz, der um meine Stiefelschäfte
herumbiß, ließ mich anfänglich in erzitterndem Her-
zen eine Wiederholung der Schulhausszene fürchten,
aber kaum daß ich an dem kleinen, seiner dienstli-
chen Pflicht etwas zu streng obliegenden
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