Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Wachtpos-
ten vorüber war, als mich auch schon das selten täu-
schende Gefühl durchdrang, in einen guten und si-
chern Hafen eingelaufen zu sein. Der Pfarrflur, des
nahen Festes halber, war in eine große Plättkammer
umgewandelt worden, in der eben die Bügeleisen
über breite Gardinenflächen geschäftig hin und her
gingen und den Raum mit einem warmen Wrasen
füllten. Alles wirtschaftlich und wohltuend, vor allem
auch die Temperatur. Ich fragte nach dem Pfarrer
und schickte meine Karte hinein. Sehr bald kam
Antwort, daß er beim Konfirmandenunterricht sei,
mich aber bitten lasse, derweilen in sein Zimmer
einzutreten. Und hier war ich denn nun und wartete.
Unter Umständen nichts angenehmer als solche War-
teviertelstunden, in denen man die Geschichte des
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Hauses oder den Charakter seiner Bewohner von den
Wänden liest. Denn nichts spricht deutlicher als
Zimmereinrichtungen, und selbst die nichtssagenden
und modisch-indifferenten machen keine Ausnahme.
Sie weisen dann eben auf nichtssagende und mo-
disch-indifferente Leute hin. In der Studierstube zu
Malchow aber war nichts indifferent, und die Grec-
borte der Gardinen, der gotisch geschnitzte Schlüs-
selkasten mit Bild und Spruch, dazu der über dem
Sofa thronende Thorwaldsensche Christus inmitten
der abgestuften Schar seiner Jünger, alles stimmte
zu den hohen Bücherregalen, auf denen die theologi-
schen und die Fritz Reuterschen Schriften in aller
Friedlichkeit beisammenstanden. Und dazu die
»Kreuz-Zeitung« auf dem Tisch, und ein Luftton, in
welchem die Morgenzigarre nachdämmerte. Das
märkische Pfarrhaus in seiner anspruchslosen und
doch zugleich von Kunst und Schönheit leise berühr-
ten Behaglichkeit hatte nie lebendiger zu mir gespro-
chen.
Und so sollt ich's bestätigt finden. Eine halbe Stunde
später, und der freundliche Pfarrer und seine noch
freundlichere Frau saßen mit mir um den Kaffeetisch,
und wieder noch ein Weilchen, und jener bekannte
Begegnungspunkt war gefunden, wo plötzlich von
sieben Seiten her alle Wege zusammenlaufen und
man nur noch verwundert ist, sich nicht vorher schon
getroffen und die Hände geschüttelt zu haben. Und
dazu die tiefere Lebensbetrachtung: »Wie klein ist
doch die Welt.«
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Ich glaube fast, ich war es selbst, der sich bis zu
diesem Satze verstieg, und wer weiß, welche weite-
ren Stufen der Erkenntnis und Weisheit ich noch er-
klommen hätte, wenn nicht der Pfarrer eben jetzt auf
die hinter den kahlen Kirschbäumen niedergehende
Sonne gedeutet und mich dadurch an den Kirchgang
und die von Fuchssche Familiengruft erinnert hätte.
So verabschiedeten wir uns denn bei der Frau Pfarrin
und schlugen einen Richtweg ein, der uns erst über
Gartenbeete, dann über verschneite Gräber fort bis
an einen Seiteneingang der Kirche führte. Und nun
öffnete sich die Tür, und der Zugwind trieb über uns-
re Köpfe weg einen breiten Schneestreifen in die Kir-
che hinein. Ein fahles Rot stand noch in den Schei-
ben, gerade hell genug, um uns alles rundum erken-
nen zu lassen. Die Wände zeigten sich frisch ge-
tüncht, Orgel und Altar blank und die Pfeiler mit vie-
len Bibelsprüchen bedeckt, aber das erste Gefühl,
das ich angesichts dieser Herrlichkeit hatte, war doch
das einer gewissen Beschämung und einer halben
Aussöhnung mit dem maître d'école drüben. »Ihr
Besuch würde resultatlos verlaufen«, waren seine
gebildeten Worte gewesen, und er schien recht be-
halten zu sollen.
Es mochte sich etwas von Enttäuschung in meinem
Gesichte spiegeln, weshalb der Prediger, als wir den
Mittelgang halb hinauf waren, in freundlichstem Tone
zu mir sagte: »Hier war die Gruft.«
Ich meinerseits hielt es für angezeigt, dieser Freund-
lichkeit durch eine gleiche zu begegnen, und erwi-
derte: »Ja, hier muß es gewesen sein. Man kann
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noch deutlich die neuen Fliesen von den alten unter-
scheiden.« Eigentlich aber war es nicht der Fall.
»Und«, fuhr der Prediger fort, »hier war auch das
Fuchssche Wappen.« Und dabei wies er mit dem Zei-
gefinger auf einen Punkt in der Luft, etwa vier Fuß
hoch über der Brüstung eines niedrigen Chorstuhls.
Es hatte durchaus etwas Gespenstisch-Visionäres,
wie wenn Macbeth den Dolch sieht, und das be-
stimmt ausgesprochene »hier« ließ mich auf eine
Sekunde ganz ernsthaft nach der Erscheinung su-
chen. Aber es blieb alles unsichtbar, und ich fröstelte nur noch die Frage heraus: »Dies ist also
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