Wanderungen durch die Mark Brandenburg
erkannte
deutlich, daß alle sehr heiter waren. Nach dem Essen
wurde getanzt. Eine leise Musik, wie wenn Violinen
im Traum gespielt würden, klang durch das ganze
Zimmer. Als der Tanz vorüber war, ordneten sich alle
wieder zu einem Zuge und erschienen abermals vor
dem Bett der Wöchnerin und dankten für freundliche
Aufnahme. Zugleich legten sie ein Angebinde nieder
und baten die Mutter, des Geschenkes wohl achtzu-
haben: die Familie werde blühen, solange man das
Geschenk in Ehren halte, werd aber vergehen und
verderben, sobald man es mißachte. Dann kehrten
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sie unter den Ofen zurück, die Lichterchen erloschen,
und alles war wieder dunkel und still.
Als Frau von Beeren, unsicher, ob sie gewacht oder
geträumt habe, nach dem Angebinde sich umsah, lag
es in aller Wirklichkeit auf der Wiege des Kindes. Es
war eine kleine Bernsteinpuppe mit menschenähnli-
chem Kopf, etwa zwei Zoll lang und der untere Teil in
einen Fischschwanz auslaufend. Dieses Püppchen,
das Leute, die zu Anfang dieses Jahrhunderts lebten,
noch gesehen haben wollen, führte den Namen »Al-
lerhühnchen« (Alräunchen) und galt als Talisman der
Familie. Es vererbte sich von Vater auf Sohn und
wurde ängstlich bewahrt und gehütet. Geist von Bee-
ren indessen kümmerte sich wenig um das wunderli-
che Familienerbstück; war er doch kein Freund von
Sagen und Geschichten, von Tand und Märchen-
schnack, und was seiner Seele so ziemlich am meis-
ten fehlte, war Pietät und der Sinn für das Geheim-
nisvolle.
Allerhühnchen hatte lang im Schrank gelegen, ohne
daß seiner erwähnt worden wäre. Da führte das
Weihnachtsfest eine lustige Gesellschaft bei Geist
von Beeren zusammen, und der Zufall wollte, daß
einer der Gäste vom »Allerhühnchen« sprach. »Was
ist es damit?« hieß es von allen Seiten, und kaum
daß die Frage gestellt worden war, so wurd auch
schon die Geschichte zum besten gegeben und das
Allerhühnchen herbeigeholt. Geist von Beeren ließ es
rundum gehen, witzelte und spöttelte und – warf es
dann ins Feuer.
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Von dem Augenblick an brach das Unheil herein, und
jene Schläge kamen, deren ich teilweis schon er-
wähnte. Zweimal brach Feuer aus, Krieg und Miß-
wachs zerstörten die Ernten, und rasche Todesfälle
rafften die Glieder der Familie fort. Der General starb plötzlich, bald darauf die beiden Söhne desselben,
endlich Geist von Beeren selbst. Die junge Witwe,
welche Geist hinterließ, verlobte sich zwei Jahre spä-
ter mit dem Hauptmann Willmer1), einem liebens-
würdigen Mann, und die Hochzeit stand nahe bevor.
Da geriet Willmer in Streit mit einem Kameraden,
einem Herrn von Dolfs von den Gardekürassieren,
und in der Heide von Wulkow kam es zum Duell.
Willmer ward erschossen. Sein Grab befindet sich auf
dem Kirchhofe von Großbeeren. Neben ihm ruht die
Tochter des »tollen Geist«, die ebenfalls auf rätsel-
hafte Weise starb. Sie war in Berlin im Pensionat und
fuhr nach Großbeeren hinaus, um ihre Mutter zu be-
suchen. Als der Wagen vor dem Hause hielt, schien
das Fräulein fest und ruhig zu schlafen – sie war tot .
Frau von Geist verkaufte schließlich die Besitzung,
aber der Unsegen dauerte fort. Nichts gedieh, nichts
wollte vorwärts. Der nächste Besitzer verlor sein
Vermögen, der ihm folgende führte ein wüstes, un-
stetes Leben und verscholl, der dritte hielt sich, aber Streit und Hader verbitterten ihm die Tage.
Der Unsegen blieb; aber es blieb auch ein Geistsches
Element an dieser Stelle lebendig, ein halb rätselhaf-
tes Verlangen, es ihm an Tollheiten nachzutun. Man
kann hieran Studien machen über die Macht und die
nachwirkende Kraft eines Originals. Alle Nachfolger
des »tollen Geist« hatten einen Zug von ihm, der
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letzte Besitzer, ein Rittmeister Briesen, am meisten.
Sein größter Verehrer aber und ebenso sein begeis-
tertster Nachahmer in allen Dingen, die sich nach-
ahmen ließen, war ein Herr von Beier, der Großbee-
ren von 1827 bis 1837 besaß. Als eines Abglanzes
ehemaliger Geistscher Herrlichkeit sei seiner am
Schluß dieser Skizze gedacht. Es lag ihm daran, dem
Herrenhause zu Großbeeren den Ruf von etwas A-
partem zu erhalten, und kaum daß er von der Exis-
tenz eines in Zossen lebenden alten Mannes gehört
hatte, der zur Zeit des »tollen Geist« eine Art Kam-
merdiener bei diesem gewesen, so ließ er sich's an-
gelegen sein, denselben zu engagieren. Der alte
Mann kam auch und wurd ausgefragt,
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