Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Straße
zurückzukehren.
Es mochte jetzt Mittag sein oder doch nicht viel
mehr, und der Weg, den ich einschlug, führte mich
am Schauspielhause vorüber. Angeklebte Zettel kün-
digten an: »Heute zum ersten Male wiederholt: › Die
deutsche Hausfrau ‹, Drama in drei Akten von Herrn von Kotzebue. Hierauf: › Das Geheimnis ‹, Operette in einem Akt von Solié.« Einer der Bureaubeamten
stand in der Türe. »Wird denn heute gespielt?« fragt
ich. »Ei, natürlich, der Herr Generaldirektor Iffland
haben's eigens befohlen.« Ein dumpfer Knall, dem
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ein zweiter und gleich darauf noch ein paar andre
folgten, bezeugte, daß draußen ein blutiges Drama
beginne. Vorübergehende standen wie gebannt, und
der Theaterbeamte zeigte mir ein blasses Gesicht;
aber doch mutmaßlich nicht blasser, als das meinige
war.
Von diesem Augenblick an kamen wir eigentlich nicht
mehr zur Besinnung. Auf den Straßen lief alles
durcheinander, und zu den Fenstern hinaus fragte
man sich, wie's stünde. Viele ließen sich nicht abhal-
ten und gingen trotz des strömenden Regens bis
nach Tempelhof oder doch wenigstens bis auf den
Tempelhofer Berg hinaus, um dem Aktionsfeld um
eine halbe Stunde näher zu sein.
Um sieben macht ich mich auf ins Theater. Es waren
mehr Leute darin, als man hätte vermuten sollen.
Nur Damen fehlten. Eigentlich hatte man sich im
Parterre bloß zusammengefunden, um sich gegen-
einander auszusprechen, und doch wurde jede patri-
otische Beziehung, die in der »Deutschen Hausfrau«
vorkam, lebhaft beklatscht. Die Bethmann, die die
Hauptrolle gab, wußte die Pointen und Schlagwörter
geschickt hervorzuheben. Auch den andern Mitspie-
lenden: Beschort und Maurer und der anmutigen
Demoiselle Fleck (nochmaligen Frau Professor Gu-
bitz), vor allem aber der Demoiselle Döbbelin, wel-
che eine böse Alte spielte, sah man es nicht an, daß
Berlin einschließlich des Schauspielhauses sozusagen
auf einem Pulverfasse stand. Am Schlusse des zwei-
ten Akts eilt ich auf eine gute halbe Stunde hinaus,
um zu sehn, ob man etwas Neues wisse. Der Kriegs-
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jammer zeigte sich schon. Bauerwagen mit Verwun-
deten kamen langsam vom Halleschen Tore her. Man
fuhr sie nach den Lazaretten; alle leichter Blessierten aber nahmen die Bürger mit Herzlichkeit in ihren
Häusern auf.
Ich hielt mich wieder auf die Linden zu, denn ich war
hungerig und gedachte mich in der Habelschen
Weinstube zu restaurieren. In dem Lokale selbst war
ein beständiges Kommen und Gehn. Am letzten
Fenster links saßen einige meiner Bekannten:
Herklots, der Theaterdichter, der Kunstkenner Hofrat
Hirt – damals einer der schönsten Männer Berlins –
und der Maler Hummel, ein unzertrennliches Habel-
sches Trifolium. In der Mitte des Zimmers aber hatte
man einen Husaren umringt, der einen Transport
Verwundeter eingebracht und selbst einen tüchtigen
Hieb über das Gesicht bekommen hatte. Von ihm
erfuhren wir einiges Nähere, vor allem, daß die Fran-
zosen sich auf Trebbin zurückzögen und daß unser
Sieg so gut wie gewiß sei.
»Noch kann das Theater nicht aus sein«, enthusias-
mierte sich Herklots, »ich muß die Nachricht dorthin
bringen.« Und im selben Augenblick ergriff er seinen
großen rotseidenen Regenschirm und war's auch
zufrieden, daß ich ihn begleitete. Wir langten auf der
Bühne kurz vor dem Schlusse des Singspiels »Das
Geheimnis« an und teilten Unzelmann, der den Be-
dienten Thomas spielte, die Siegesbotschaft mit. Er
ergriff sofort den dreieckigen Bedientenhut und trat
auf die Bühne hinaus, obgleich seine Szene nicht an
der Reihe war. Die Schauspielerin, welche die Hofrä-
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tin gab, sah ihn befremdet an, er aber extemporierte
sofort im Tone seiner Rolle: »Wollte der Frau Hofrä-
tin und den Herrschaften da unten (aufs Publikum
zeigend) nur melden, daß wir heute keine französische Einquartierung mehr bekommen.« Und nun
muß ich hier zu besserem Verständnis des Folgenden
einschalten, daß Unzelmann eine ganz frappante
Ähnlichkeit mit dem im Winter 1812 auf 13 in Berlin
kommandierenden französischen General Augereau
hatte. Diese Ähnlichkeit glücklich benutzend, stülpte
der gefeierte Komiker, als er die vorstehende Mel-
dung gemacht hatte, seinen dreieckigen Hut in der-
selben schiefen Richtung auf den Kopf, wie ihn die
französischen Generale zu tragen pflegten, und füg-
te, Augereau kopierend, hinzu: »Wir begeben uns
rückwärts nach Trebbin!«
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