Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Beglücken anderer erhob sie
sich zu neuer Kraft, und als die Tochter (auch eine
Johanna) zu jedermanns Freude heranwuchs und
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immer mehr das Licht ihres Lebens wurde, da kam
ihr auch ein Gefühl des Glückes wieder und in und mit ihm die Hoffnung , die mehr ist als das Glück.
Aber diese Hoffnung erblaßte vor der Zeit und
schwand endlich hin für immer. Die Tochter erkrank-
te, von einem hitzigen Fieber befallen, und starb im
schwäbischen Wildbad, wohin sie sich in Begleitung
ihrer damals noch lebenden Gröbener Tante begeben
hatte.
Das war im Herbst 1857. Untröstlich war die Mutter,
die nun in Einsamkeit den Rest ihres Lebens durch-
lebte.
Eh ich aber diesen Lebensausgang schildere, versuch
ich zuvor, ein Bild der zu früh heimgegangenen
Tochter zu geben.
Johanna von Scharnhorst
(Nach Aufzeichnungen einer Kaiserswerther Diako-
nissin)
Johanna von Scharnhorst war eine Mariennatur. Ihre
Erscheinung schon gewann die Herzen und war der
Ausdruck selbstsuchtsloser Güte. Mutter und Tochter
glichen sich in diesem Punkte vollkommen und leben,
um dieser selbstsuchtslosen Güte willen, in der Erin-
nerung der Gröben-Siethener Gemeinde fort.
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Im Oktober 1854 kam Fräulein Johanna nach Kai-
serswerth, um Diakonissin zu werden. Was sie dazu
bestimmte, waren zunächst wohl unerfüllt gebliebene
Hoffnungen, Enttäuschungen, über die sie sich nur
einmal, in Andeutungen wenigstens, zu mir aus-
sprach; aber weit über eine solche nächste Veranlas-
sung hinaus ruhte der eigentliche Grund zu diesem
Schritt in ihrer ganz auf Barmherzigkeit und Liebe
gestellten Natur. Sie war, wie wenige, zum Diakonis-
sendienste bestimmt.
In ihrer ersten Jugend schon, so hört ich später,
nahm sie sich der Armen und Verlassenen an, und
wenn sie durch das Dorf ging und die Kinder mit
stumpfem Gesichtsausdruck in der Haustür sitzen
sah, sagte sie: »Die Kinder sehen aus, als ob sie kei-
ne Seele hätten. Wie helf ich ihnen?«
Es war wohl ein Erinnern daran, was sie jetzt nach
einem schmerzlichen Erlebnis, unsrer Kaiserswerther
Anstalt, deren Einrichtung und Dienst sie kennenler-
nen wollte, zuführte. Noch entsinn ich mich des Ta-
ges, als sie kam. Ich empfing gleich den Eindruck
von ihr, etwas so Lieblichem noch nie begegnet zu
sein, und wurde nicht müde, sie anzusehen. Auch
weiß ich noch, daß ich in allen Briefen an die Meini-
gen immer nur von ihr erzählte, trotzdem sie noch
kein einzig Wort zu mir gesprochen hatte. Sie trat als
Pensionärin ein, beschränkte sich jedoch nicht, wie
diese sonst zu tun pflegen, auf Krankenpflege, son-
dern griff überall ein; sie nahm teil an den Stunden
der Seminaristinnen, war in der Kleinkinderschule
tätig und wirkte mit im Asyl. Ihre Hauptarbeit freilich 2813
gehörte den Kranken, und hier stand sie bald einzig
da. Sie war unermüdlich, daneben freundlich und
fröhlich, und schon ihre bloße Nähe beglückte.
Nach Ablauf eines Jahres kehrte sie von Kaiserswerth
nach Siethen zurück, um daselbst ein Kinderasyl ins
Leben zu rufen. Ein in dem reizenden Uetz bei Pots-
dam befindliches Haus, darin schon zwei Kaisers-
werther Diakonissinnen in Tätigkeit waren, sollte
zum unmittelbaren Vorbilde genommen werden. Und
dies geschah auch. Es war aber ein schweres Begin-
nen, am schwersten infolge von allerlei Kritik, die
das Unternehmen gerade von befreundeter oder
doch halb befreundeter Seite her zu erfahren hatte.
»Das solle Hülfe sein«, hieß es, »aber es sei keine.
Für die Tagelöhner sei nun mal das beste, wenn ihre
Kinder auch wieder aufwuchsen, wie sie selber auf-
gewachsen seien. Und was die Mütter angehe, so
taug es nichts, ihnen die Sorge für ihre Kinder ab-
nehmen zu wollen.« All dies traf um so tiefer, als ihm
ein Teil Alltagswahrheit zur Seite stand, aber sie
kämpfte treu gegen alle laut werdenden Zweifel an,
besonders auch gegen die eigenen, und rang sich
immer wieder zu dem schönen Glauben durch, daß
sich ihr Wunsch mit dem Willen Gottes vereinige.
Ich hatte das Glück gehabt, ihr in den letzten Mona-
ten ihres Kaiserswerther Aufenthaltes näherzutreten,
und so kam es, daß sie mich bei sich zu sehen
wünschte. Sie schrieb in diesem Sinne von Siethen
aus an Pastor Fliedner, und ich selbst erhielt einen
Brief, aus dem ich hier folgende Stelle gebe: »Nichts
ist schwerer, als in Einfalt des Herzens bleiben; es
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muß vor allem erbeten werden, und das wollen wir
treulich füreinander
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