Wanderungen durch die Mark Brandenburg
auch neue
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Kräfte kämen. Sie sah frisch aus, frischer als sonst,
und als nach einjähriger Tätigkeit ihr Geburtstag un-
ter Teilnahme vieler lieber Gäste gefeiert wurde,
flüsterte mir eine Nachbarin zu: »Wie blühend Jo-
hanna aussieht.« Und es war so. Freilich täuschten
diese blühenden Farben und bargen recht eigentlich
die Gefahr, aber noch waren wir ahnungslos, und der
Tag selbst verlief uns in ungestörter Freude. Die Kin-
der sangen ihre Lieder, und weil Johanna selber nicht
singen konnte, sagte sie scherzend: »Ich könnte
böse sein, keine Stimme zu haben.« – »Ach, du
willst zuviel«, antwortete ihr ihr ehemaliger Lehrer
und Erzieher in liebevollem Vorwurfe. »Man muß
auch nicht alles haben wollen.« So vergingen die Stunden in schöner und gehobener Heiterkeit, was
ihr aber im Laufe des Tages die größte Freude ge-
macht hatte, das waren ein paar Spätrosen gewesen,
die man ihr, für den Geburtstagstisch, von den schon
überschneiten Stämmen geschnitten hatte. Denn es
war der 16. November.
Und der Winter verging, und der Frühling kam. Und
als der Sommer da war, da war sie matt, so matt,
daß sie, was sie sonst nicht kannte, zu klagen be-
gann. Auch von ihrem Tode sprach sie häufiger und
bestimmte, welches Lied an ihrem Grabe gesungen
werden solle. So ging es durch Wochen und durch
Monate hin. Aber freilich auch hoffnungsreichere
Stunden kamen wieder, und als im Juli die Tante
Schlabrendorf in Gröben auf ärztlichen Rat ins Wild-
bad reiste, gehorchte Johanna gern dem Wunsche
der alten Gräfin und schloß sich ihr als Begleiterin
an.
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Anfangs erhielten wir nur gute Nachrichten, sehr
gute sogar, und mit einer großen und beinah kindli-
chen Freudigkeit sprachen ihre Briefe von ihren Er-
lebnissen, auch von den Auszeichnungen und Ermu-
tigungen, die man ihr hatte zuteil werden lassen.
»Und so sehen Sie denn, wieviel Liebes mir begegnet
ist.« – »Aber«, so hieß es eine Woche später, »es
sind auch schwere Tage für mich angebrochen; ich
habe sehen müssen, wie leicht es ist, mich aus der
Sammlung heraus- und in die Zerstreuung hineinzu-
bringen, und wie lieb ich noch die Welt habe. Die
dunklen Tiefen unseres Herzens können uns ordent-
lich erschrecken, und ist kein anderer Trost als der
einzig eine, daß Er, der diese Dunkeltiefen in aller
Deutlichkeit erkennt, auch so viel Geduld und Liebe
hat.« Und daran reihten sich dann Worte der Sehn-
sucht nach Siethen und dem ihr liebgewordenen Wir-
kungskreise.
Das war Anfang September. Aber schon am 6. hör-
ten wir allerlei Beunruhigendes über ihr Befinden,
und am 9. eilte Frau von Scharnhorst an das Kran-
kenbett ihrer Tochter. Sie fand sie besser, als zu hof-
fen gewesen war, und ich empfing gleich danach
einen Brief, der dies bestätigte: »Johanna ist noch
recht schwach, aber alles Fiebers unerachtet ruhig.
Meine Pflege besteht eigentlich in nichts andrem, als
sie vor allem Störenden zu hüten. Ich sitze neben ihr
und wehre die Fliegen und richte dann und wann ein
beruhigendes Wort an sie. Bitten Sie Gott, daß er
uns gnädig ist und seinen Willen tut nach seinem Rat
und nicht nach unserem verkehrten Denken.«
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Und dieser Rat und Wille war, daß sie von uns ge-
nommen werden sollte. Wenige Tage nachdem die-
ser Brief geschrieben, stellten sich heftige Fieber-
phantasien ein, in denen die Kranke wunderbare Ge-
sichte hatte; sie sah Gott und Christum und sprach
mit ihnen, und nach einer dieser Erscheinungen sag-
te sie fest und freudig: »Und wenn du gefragt wirst,
ob die Herrlichkeit des Herren wirklich so groß sei,
dann sage getrost und getreulich: ja.«
Wir aber waren daheim mit unseren Gedanken un-
ausgesetzt um sie, geteilt zwischen Furcht und Hoff-
nung. Und auch am 13. Oktober abends versammel-
ten wir uns, alt und jung, wieder in der erleuchteten
Kirche zu Siethen und beteten unter vielen Tränen
um Erhaltung ihres teuren Lebens. Aber um ebendie-
se Stunde ging ihre Seele in die ewige Heimat ein.
Ihre Hülle wurde nach Siethen übergeführt und im
Beisein vieler Hunderte von nah und fern begraben.
Auch das alte Fräulein von Görtzke kam von Groß-
beuthen her herüber und sagte bewegt: »Es war
doch ein reich gesegneter Tag, an dem sie auf diese
Erde kam.«
Alles, was der Mutter noch an Lebensfreude geblie-
ben war, war nun dahin, und das einfache Haus, das
seitens der Tochter vor wenig Jahren erst zum Troste
Verwaister
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