Wanderungen durch die Mark Brandenburg
sie
– wie zur Erprobung ihrer pädagogischen Talente –
Kinder, namentlich junge Mädchen, ins Haus nahm.
Es waren dies Töchter aus achtbaren, aber einfach
bürgerlichen Häusern, und ihr Erziehungstalent er-
wies sich in nichts so sehr als in der Art und Weise,
wie sie diese jungen Mädchen an allem, was das
Haus gesellschaftlich gewährte, teilnehmen ließ und
sie doch zugleich für die Lebensstellungen erzog, in
die sie, früher oder später, wieder zurücktreten muß-
ten. Es gelang ihr, ihren Pfleglingen eine Sicherheit
im Auftreten und in den Formen zu geben, ohne daß
infolge davon der gefährliche, weil so selten zu Vor-
teil und Segen führende Wunsch in ihnen aufgekeimt
wäre, die bescheidenere Geburtsstellung mit einer
anspruchsvolleren zu vertauschen. All das, ohne je-
mals durch Hervorkehrung dessen, was man Stan-
desvorurteile nennt, auch nur einen Augenblick ver-
letzt zu haben. Es war ihr eben einfach die Gabe ge-
worden, in Liebe den Glauben zu wecken: ›In allem
lebt Gottes Wille, und wie es ist, ist es am besten.‹«
So die Mitteilungen solcher, die die Gräfin noch per-
sönlich gekannt haben. Aber eines vermiß ich darin:
ein Hervorheben dessen, was ihr, ich will nicht sagen
ausschließlich oder auch nur vorzugsweise, aber
doch jedenfalls mitwirkend , ihren Einfluß sicherte.
2806
Dies war ihr Katholizismus . Zunächst ihr Katholizismus als einfache Tatsache.
Wer ein Auge für diese Dinge hat, dem kann es nicht
entgehen, daß der Katholizismus, all seiner vielleicht
berechtigten Klagen und Anklagen unerachtet, eine
nach mehr als einer Seite hin bevorzugte Stellung
unter uns einnimmt, und zwar am entschiedensten in
dem Gesellschaftsbruchteile, der sich die »Gesellschaft« nennt. Es geht dies so weit, daß Leute, die
sonst nichts bedeuten, einfach dadurch ein gewisses
Ansehen gewinnen, daß sie Katholiken sind. Wie ge-
ring ihre sonstige Stellung sein mag, sie werden ei-
ner Art Religionsaristokratie zugerechnet, einer Ge-
nossenschaft, die Vorrechte hat und von der es nicht
bloß feststeht, daß sie gewisse Dinge besser kennt
und weiß als wir, sondern der es, infolge dieses Bes-
serwissens, auch zukommt, in ebendiesen Dingen
den Ton anzugeben. Also zu herrschen.
Unserer Gräfin Herrschaft aber verdoppelte sich und
wurd erst recht eigentlich, was sie war, aus der weit
über die bloße Tatsächlichkeit ihres Katholizismus
hinausgehenden schönen und klugen Betätigung
desselben. Sie war eine strenge Katholikin für sich , in der Berührung mit der Außenwelt jedoch, insonderheit mit der ihr in gewissem Sinne wenigstens
unterstellten Gemeinde, betonte sie stets nur das,
was beiden Konfessionen das Gemeinschaftliche war,
und übte die hohe Kunst einer Religionsäußerung,
die der eignen Überzeugung nichts vergab und die
der andern nicht kränkte. Sie hatte dies am sächsi-
schen Hofe gelernt und zeigte sich beflissen, diesem 2807
Vorbilde schöner Toleranz in allen Stücken nachzu-
ahmen. Es geschah dies in einer ganzen Reihe von
Guttaten und kleinen Stiftungen, am erkennbarsten
in dem einem Neubau gleichkommenden Umbau der
lutherischen Gröbener Kirche, den sie, von der Vor-
ahnung erfüllt, daß sie das Ende desselben nicht
mehr erleben würde, durch Kapitalsdeponierungen
sicherstellte.
Den 2. September 1858 starb sie, sechzig Jahr alt,
und wurde, den dritten Tag danach, ihrem ausdrück-
lichen Willen gemäß, auf dem protestantischen
Kirchhofe der Gemeinde beigesetzt.
Gröben selbst aber fiel an die Schwägerin der Gräfin, an die noch lebende Schwester des bereits 1851 verstorbenen Grafen Leo.
Frau Johanna von Scharnhorst,
geborne Gräfin von Schlabrendorf
Diese noch lebende Schwester des Grafen Leo war
Frau Johanna von Scharnhorst, geborne Gräfin von
Schlabrendorf. Sie trat ihr Erbe (Gut Gröben) an,
und da sie, wie weiterhin erzählt werden wird, einige
Jahrzehnte vorher auch in den Besitz von Siethen
gekommen war, so waren jetzt beide alt-
Schlabrendorfschen Güter wieder in Händen einer
geborenen Schlabrendorf vereinigt. Freilich nur auf
kurze Zeit. Ein Jahr nur, von 1858 bis 1859. Eh ich aber von diesem Wiederaufgeben des Gesamtbesit-2808
zes spreche, sprech ich, zurückgreifend, über den
Lebensgang der Frau von Scharnhorst bis zu jenem
Zeitpunkte (1858), wo Gröben ihr zufiel.
Comtesse Johanna wurde, wie schon hervorgehoben,
am 22. April 1803 aus der zweiten Ehe des Grafen
Heinrich von
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