Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Schlabrendorf, die derselbe mit einem
Fräulein von Mecklenburg geschlossen hatte, gebo-
ren. Es scheint, die Mutter starb früh und überließ
Erziehung und Fürsorge dem exzentrischen Vater,
der sich dieser Aufgabe denn auch auf seine Weise,
das heißt widerspruchsvoll, unterzog. Er liebte die
Kleine schwärmerisch und duldete beispielsweise
nicht, daß sie von jemand anderem als von ihm oder
einer ihr beigegebenen Bonne berührt wurde. Sollte
sie spazierenfahren, so stand er bereit, um ihr kava-
liermäßig die Hand zu reichen oder sie, solange sie
noch klein war, in den Wagen hineinzuheben. Aber
diese Galanterien erfuhren doch auch wieder Aus-
nahmen und waren jedenfalls von nicht allzu langer
Dauer. Als die Reisepassion über ihn kam, schwand
ihm die Lust, sich um das Comteßchen noch weiter
zu kümmern, und er begnügte sich von nun an da-
mit, sie nach hierhin und dorthin in allerlei Pensionen zu geben, am liebsten in ländliche Pfarrhäuser, in
denen oft die wunderlichsten Zustände herrschten
und Albernheiten und Unpassendheiten um den Vor-
rang stritten. Aber all dies berührte sie wenig, und
glücklichere Tage kamen, als der alte Graf mehr und
mehr zurücktrat und die mütterliche Verwandtschaft
der immer reizender werdenden Comtesse sich die-
ser anzunehmen begann. In Sommerzeit war sie mit
in den Ostseebädern, am häufigsten in Doberan, und
2809
in einer Vier-Schimmel-Equipage ging es dann über
die Felder hin oder auch wohl bis an den Heiligen-
damm, wo zweierlei gleich Wichtiges und gleich Gro-
ßes zu sehen war: der Hof und das Meer.
Aber dies alles liegt unbestimmt zurück, und klarere
Bilder treten uns aus dem Jugendleben der Gräfin
erst von dem Tag an entgegen, wo sich die gesamte
Familie, Geschwister und Vetterschaft, in Trier zu-
sammenfand, um im Hause des alten General von
Ryssel die Vermählung zwischen Emilie von Ryssel
und Graf Leo von Schlabrendorf zu feiern. Unter den
Schlabrendorfs, die mit erschienen waren, war auch
Comtesse Johanna, damals erst siebzehn Jahr alt,
und der alte Spruch sollte sich bei dieser Gelegenheit
aufs neue bewahrheiten: »auf jeder Hochzeit eine
neue Verlobung«. Ihr Tischnachbar war August von
Scharnhorst, Rittmeister in dem damals zu Trier in
Garnison stehenden 8. Ulanenregiment und ungefähr
um dieselbe Zeit, in der Graf Leo das schwiegerelter-
liche Haus in Trier aufgab, um das kurz zuvor er-
standene Gröben zu beziehen, erfolgte die Verlobung
und bald danach auch die Verheiratung des tisch-
nachbarlichen Paares: des Rittmeisters August von
Scharnhorst und der Comtesse Johanna von
Schlabrendorf.
Aber auch die Tage dieses Paares waren in Trier ge-zählt. Wie Gröben, so geriet auch Siethen, das seine
Besitzer innerhalb der letzten dreißig Jahre mehrfach
gewechselt hatte, mal wieder zu Verkauf, und Graf
Leopold, als er davon hörte, fragte sofort bei
Schwester und Schwager an, »ob sie vielleicht ge-
2810
neigt seien, das plötzlich wieder frei gewordene
Siethen käuflich an sich zu bringen«. Unter gewöhn-
lichen Verhältnissen würde die Frage wahrscheinlich
mit einem »Nein« beantwortet oder noch viel wahr-
scheinlicher gar nicht gestellt worden sein, in Trier
aber lagen die Dinge bereits außerhalb des Gewöhn-
lichen, indem August von Scharnhorst durch einen
Sturz vom Pferde sich sehr erheblich, und zwar bis
zur Dienstunfähigkeit, verletzt, auch infolge davon
sein Entlassungsgesuch bereits eingereicht hatte. So
wurde denn freudig zugestimmt und 1825 der An-
kauf von Siethen bewerkstelligt, das nun – so we-
nigstens ging der Plan – für das junge Scharn-
horstsche Paar eine gleich glückliche Heimstätte
werden sollte, wie das Schwesterdorf Gröben es für
das Schlabrendorfsche bereits war. Aber dieser Plan
scheiterte. Des um diese Zeit bereits als Major aus
dem Dienste geschiedenen Rittmeisters von Scharn-
horst gesundheitliche Störungen waren größer als
geglaubt, er kränkelte viel, und schon ein halbes
Jahr nach Übernahme des Gutes starb er in Berlin
(Oktober 1826), wohin er sich in ärztliche Behand-
lung begeben, und ließ in Siethen ein kaum einjähri-
ges Töchterchen und eine dreiundzwanzigjährige
Witwe zurück.
Ein hartes Los war dieser gefallen. Und doch hatte
sie dreierlei, was ihr das Leben allmählich wieder
lebenswert machte: das Kind, die Schwägerin drüben
in Gröben und als drittes den Wetteifer mit dieser in
allen guten Werken. Im
Weitere Kostenlose Bücher