Wanderungen durch die Mark Brandenburg
in Bayern, in Tagen, wo mir das Hotelessen auch
so recht zuwider war. Es traf sich, daß ich zu selber
Zeit von einem reichen Patrizier, einem Enthusiasten
für Bilder und Archäologisches, zum Frühstück gela-
den wurde, nahm denn auch an und fand bei mei-
nem Erscheinen schon ein paar andere Gäste vor,
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mit denen ich mich auch bald danach in ein mit Bir-
kenreisern dekoriertes Eßzimmer geführt sah. Die
Fenster standen auf, und alles um uns her war Appe-
titlichkeit und Frische. Und nun denken Sie sich, was
gab es da? Auf einem langen eichenen Tisch lag ein
am Spieß gebratenes junges Schwein, aufgebrochen
und mit kleinen Thymiansträußen ausgesteckt, was
ganz reizend aussah. Wichtiger aber waren lange
schmale Spitztüten, die daneben steckten und in
denen sich Pfeffer und Salz befand. Nun wurde je-
dem von uns ein Messer gereicht, das eine ganz ei-
gentümliche Form hatte, beinahe sichelförmig, und
so bewaffnet, gingen wir in einem Gänsereihen um
den Tisch herum, um, wie Jäger, das Revier abzusu-
chen. Sie werden sich erinnern, daß, wenn man ein
Gänsegerüst abknaupelt, es kleine Höhlen und Win-
kel gibt, wo die eigentlichen Delikatessen liegen, und
diese sich halb verbergenden Stellen auch an dem
jungen Schweine ausfindig zu machen und dabei
dem andern zuvorzukommen, das war nun die Auf-
gabe. Natürlich wäre ich, als ein Neuling und Unein-
geweihter, jämmerlich damit gescheitert, wenn nicht
die Liebenswürdigkeit des Wirts sich meiner erbarmt
hätte. Da ist mir denn erst klargeworden, was
Schweinebraten heißt. Und dazu die Tüten und die
Thymiansträuße und das Kulmbacher Bier (denn es
war in der Kulmbacher Gegend), das immer frisch
gereicht wurde – ja, hören Sie, da kann der ›Halbe
Mond‹ in Eisenach oder das ›Zehnpfund-Hotel‹ in
Thale nicht gegen an, und Sie haben schon ganz
recht, wenn Sie sagen, ›nicht bloß das Gesunde,
sondern recht eigentlich auch das Feine, das hat man
bloß bei den Naturgerichten‹. Und wirklich, die was
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davon verstehen, die haben auch immer so gedacht,
obenan Friedrich Wilhelm I., der durchaus für Weiß-
kohl und Hammelfleisch war. Kaiser Wilhelm soll
auch den Tag gesegnet haben, wo er Brühkartoffeln
kennenlernte, vom seligen Goethe gar nicht erst zu
reden. Sie wissen, daß ich die Teltower Rüben mei-
ne.«
Das war so ein in Worten gemaltes Gentzsches Bild,
und wenn ich auch für den Wortlaut der Geschichte
nicht mehr einstehen kann, so weiß ich doch, die
Hauptsache richtig wiedergegeben zu haben.
Und so verliefen Gentzsche Geschichten überhaupt,
nur daß die allerechtesten doch noch einen Beisatz
von feinem Spott und sozusagen liebevoller Ausma-
lung menschlicher Schwächen zu haben pflegten.
Eine derartig eulenspiegelsch gefärbte Geschichte
möchte ich, als zweite Gentziade, hier noch erzählen,
und zwar, wie ich zur Beruhigung der Leser gleich
hinzusetzen will, auch als letzte.
»... Nun denn, der sogenannte Marine-Krause (rei-
zender Lebemann und tüchtiger Künstler) war auch
Lehrer an der Akademie. Kunsthändler Rudolf Lepke
kaufte viel von ihm. Eines Tages hielt Krause wieder
seine Klasse und ging eben von Platz zu Platz, als ein
allen älteren Malern und natürlich auch allen Akade-
mieschülern wohlbekannter Diener Lepkes eintrat,
ein Bild unterm Arm. Krause sah sofort, daß es ein
Bild von ihm selber war.
›Nun, Zühlke, was gibt es?‹
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›Ja, Herr Professor...‹ Und Zühlke sah verlegen auf
die jungen Akademiker.
›Na, man raus.‹
›Ja, Herr Professor, Herr Lepke schickt Ihnen das
Bild wieder... Sie hätten alle wieder rote Jacken an...
Und rote Jacken, die wollte keiner mehr, die hätten
die Leute jetzt über... Er sagte, Sie müßten ihnen
andere Jacken anziehen, Herr Professor; anders ging
es nicht.‹
Krause verfärbte sich und rang anscheinend nach
Luft. Endlich hatte er sich seine Rolle zurechtgelegt
und fuhr nun los, indem er den Berserker ganz
kunstgerecht spielte. ›Zühlke, raus. Was soll das
heißen? Lepke ist verrückt geworden. Raus, sag ich.‹
Und während Zühlke ging, tobte Krause vor seinen
Schülern immer noch weiter und stürzte schließlich
dem armen Zühlke nach, vor sich hin brummend,
daß er dem Kerl noch ein paar ordentliche Redensar-
ten an den Kopf schmeißen müsse. Dabei warf er die
Klassentür forsch zu und sah nun auch wirklich den
Korridor hinunter. Da ging Zühlke noch, das Bild un-
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