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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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denn gepriesen, ihr Schlupflöcher, wo der
    Nicht -Mustermensch noch Chancen hat, sich glücklich durchwinden zu können!
    Die bei Gelegenheit der Jubelfeier von 1865 erschie-
    nenen »Annalen« ermöglichen uns einen historischen
    Überblick über die Schule, den wir aber nicht allzu-
    weit rückwärts ausdehnen. Vor etwa 100 Jahren er-
    langte sie während des Doppelrektorates von Lieber-
    kühn und Stuve eine Art europäische Berühmtheit.
    Beide, die zu den Anhängern Basedows zählten, leis-
    teten Bedeutendes in Erweckung eines frischen Geis-
    tes in der Jugend, und »die mit Vorliebe gepflegte
    Anthropologie erzeugte eine praktische Diätetik, die viele Schüler selbst in den Häusern ihrer anders den-kenden Eltern dazu bestimmte, freiwillig allem Luxus
    und aller Verwöhnung, so beispielsweise dem Kaffee,
    dem Bier und Wein, zu entsagen. Sie tranken Was-
    ser, schliefen und badeten kalt und gefielen sich in
    jeglicher Abhärtung des Körpers.«
    Aber dies alles war nur Episode. Die Lieberkühn-
    Stuvesche Herrschaft währte nur wenige Jahre, von
    1777 bis 1786; ein Jahr darauf brannten Stadt und
    Schule nieder, und als 1791 unser jetziges »Civibus

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    aevi futuri« aus der Asche erstand, rückten neue
    Principes und neue Prinzipien in das Gymnasium ein.
    Während des ersten Drittels dieses Jahrhunderts re-
    gierte Thormeyer, der Schulmonarch, wie er im Bu-
    che steht. Ich habe selbst noch bei meinem Eintritt
    ins Gymnasium ein Cornelius-Nepos-Kapitel unter
    seinen Augen oder richtiger unter seinen Nüstern
    übersetzt, und was Thackeray in seinem »Vanity
    Fair« erzählt, »daß ihm von Zeit zu Zeit immer noch
    Mr. Birch in seinen Träumen erscheine«, das kann
    ich auch von meinen Beziehungen zum alten Thor-
    meyer sagen. Er war eine Kolossalfigur mit Löwen-
    kopf und Löwenstimme, lauter Schreckensattribute,
    die dadurch nicht an Macht verloren, daß man sich
    schaudernd erzählte, »er sei überhaupt nur von
    Stendal nach Ruppin versetzt worden, weil er sich an
    ersterem Ort an seinem Ephorus hart vergriffen ha-
    be«. Das Wort »vergriffen« hatte für meine zwölfjäh-
    rige Knabeneinbildungskraft etwas ganz besonders
    Schauerliches.
    Ich muß bei diesem Manne noch einen Augenblick
    verweilen, weil sich mir einige »kulturhistorische
    Bemerkungen« dabei aufdrängen und weil an einer
    Erscheinung wie die seinige der außerordentliche
    Unterschied zwischen jetzt und damals zutage tritt.
    Wird alles Gewicht auf das Autoritative gelegt, so haben wir seitdem offenbare Rückschritte gemacht,
    soll aber andrerseits von gesundem Sinn, von
    Schönheit und Freiheit die Rede sein, von jener ho-
    hen Freiheit, die doch bei allem Lernen und Wissen
    immer die Hauptsache bleibt und ohne die die ganze

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    Bekanntschaft mit Plato keine Viertelmetze Kirschen
    wert ist, so haben wir nicht nur Fortschritte gemacht,
    sondern existiert überhaupt gar keine Verbindung
    mehr zwischen damals und heut. Thormeyer galt als
    ein geistreicher Mann. Möglich, daß er es auf seine Weise war, aber diese Weise war der Art, daß uns alles, was er sprach oder schrieb, nur wie Bombast
    oder ein hochgestelzter Galimathias berührt. Ein
    paar Beispiele. »Was für positive und negative Be-
    schlüsse ein Schuldirektor zu fassen hat«, schreibt
    er, »hängt nicht von ihm und a priori ab – da weder das Dasein Friedrichs des Großen noch dessen Siebenjähriger Krieg sich a priori beweisen läßt –, sondern es hängt von dem Besondersten der Zeit und
    des Ortes ab.« Dieser Satz, der sich durch einen
    mindestens kühn gewählten Vergleich auszeichnet –
    denn zwischen der Vorweg- Beurteilung eines zwar erst kommenden, aber doch unter allen Umständen
    einem bereits existierenden Gesetz unterworfenen
    Falles und dem Vorweg- Beweis eines noch erst in der Zukunft ruhenden Menschendaseins ist ein gewaltiger Unterschied –, bietet all seiner Kühnheit uner-
    achtet nur einen Vorgeschmack dessen, was Thor-
    meyer zu leisten imstande war. Voller, gründlicher
    haben wir ihn in seinen Büchern, beispielsweis in
    seinem » Erbauungsbuch für studierende Jünglinge«.
    Darin befindet sich folgende Betrachtung über die
    Hände . »Die Hände sind an demjenigen Ort befestigt wo sie alle ihre Geschäfte auf das geschickteste, beste und leichteste verrichten können. Denn hätten sie
    ihre Stellung hinten erhalten, so könnten ihnen, bei
    der übrigen jetzigen Beschaffenheit des Leibes, die Augen nicht zustatten kommen, befände sich

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