Wanderungen durch die Mark Brandenburg
durch Schelmereien
und übermütige Witzworte (der alte Humboldt sei für
den schönen Karlowa gehalten worden) die Bedeu-
tung dieser Sammlung hinwegspötteln wollen. Aber
sehr mit Unrecht. Alle diese Portraitköpfe sind nicht Phantasieschöpfungen, laufen auch nicht auf ein bequemes »corriger la nature« hinaus; sie verraten
vielmehr, abgesehen von einer meisterhaften, unse-
rem Hensel ganz eigentümlichen Technik, vor allem
auch eine eminente Begabung für das Charakteristi-
sche. Sonderbarerweise haben wir uns neuerdings
daran gewöhnt das Charakteristische vorwiegend im
Häßlichen zu suchen, anstatt uns zuzugestehen, daß
das Übertreiben nach der einen Seite hin, also das
Karikieren und Transponieren en laid, doch mindes-
tens ebenso verwerflich ist als ein Zuviel en beau.
Richtig geübt, ist dies eben nichts anderes als der
ideale Zug in der Kunst, der doch immer der siegreiche bleiben wird.
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Die neueste Kunst- und Weltepoche, die »lichtbildne-
rische«, ist dem Ruhme der Henselschen siebenund-
vierzig Mappen allerdings nicht allzu günstig gewor-
den. Aber wie immer dem sein möge, der größte Teil
dieser Sammlung gibt doch Aufschluß über eine vor -
lichtbildliche Zeit und wird über kurz oder lang einen
Wert repräsentieren, ähnlich den Initialenbüchern
des Mittelalters, aus denen oft Städte, Stände, Per-
sönlichkeiten allein noch zu uns sprechen. Die Map-
pen Wilhelm Hensels werden dann ein Bibliotheken-
schatz sein trotz einem, eine Quelle voll historischer
Bedeutung, und der Name des Predigersohns aus
Trebbin wird zu neuen Ehren erblühen.
Am 26. November 1861 war W. Hensel gestorben,
und am 30. trugen ihn seine Freunde hinaus. Auf
dem alten Dreifaltigkeitskirchhof, unmittelbar links
vom Halleschen Tore, bereitete man ihm an der Seite
Fanny Mendelssohns, deren Andenken er fast einen
Kultus gewidmet hatte, die letzte Ruhestätte.
Sein Grab zu besuchen, zugleich auch über die Daten
seiner Geburt und seines Todes volle Gewißheit zu
erlangen, bog ich, in diesen letzten Maitagen, in den
dunklen, kastanienüberschatteten Gang ein, der bis
an das Tor des alten Kirchhofes führt.
»Ist hier der Mendelssohnsche Begräbnisplatz?«
fragt ich.
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Ein zwölfjähriges, klug aussehendes Kind, an das ich
die Frage gerichtet, nickte mir freundlich zu, setzte
dann, als ob sich's von selbst verstünde, das ihrer
Hut anvertraute Schwesterchen ins Gras nieder und
sagte: »Kommen Sie nur. Es ist schwer zu finden.«
Dabei lief sie vor mir her, ein Gewirr von Gängen und
Steigen passierend und nur von Zeit zu Zeit sich um-
sehend, ob ich auch folge. Wirklich, es war schwer zu
finden, schwerer noch, als ich gedacht hatte, denn
drei, vier Kirchhöfe schoben sich hier mit ihren aus-
laufenden Spitzen so dicht und eng ineinander ein
wie die Finger zweier gefalteten Hände.
Schließlich hielten wir vor einer umgitterten Stelle
von mäßiger Größe.
»Hier das Mittelgrab ist das Grab von Felix Mendels-
sohn Bartholdy.« Sie gab ihm seinen vollen Namen.
Daß ich Wilhelm Hensels wegen gekommen sein
könne, dieser Gedanke lag ihr fern. Und danach
knicksend und meinem Danke sich entziehend, lief
sie wieder im Zickzack bis zu der Stelle zurück, wo
ich sie gefunden hatte.
Die Mendelssohnsche Begräbnisstätte bildet einen
Staat im Staat, einen Kirchhof auf dem Kirchhof. Es
sind fünf Gräber, alle gleichmäßig von Efeu über-
wachsen. Darunter ruhen, neben andern Mitgliedern
der Familie, Felix Mendelssohn, Fanny Mendelssohn
(die Gattin Wilhelm Hensels) und endlich Wilhelm
Hensel selbst. Dem Hause, dem er im Leben anhing,
ist er auch im Tode treu geblieben.
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Alle Arten von Immergrün fassen das Gitter ein: E-
feu, Buchsbaum, Taxus, Lebensbaum, und eine hohe
Zypresse überragt das Ganze. Die Gräber haben
Marmorkreuze; nur zu Häupten Fanny Hensels steht
ein zugeschrägter, schön polierter Granit, der, außer
Namen und Datum, die Worte trägt:
Gedanken gehn und Lieder
Fort bis ins Himmelreich,
Fort bis ins Himmelreich.
Auch die Noten der Liedeskomposition sind in Gold-schrift beigefügt, was einen sehr eigentümlichen Ein-
druck macht. Worin übrigens kein Tadel liegen soll.
Im Gegenteil. Ich sehe nicht ein, weshalb nur Fah-
nen und Kanonen das Vorrecht genießen sollen, als
denkmal- oder grabsteinberechtigt zu gelten. Je häu-
figer und konsequenter diese langweilige Tradition
durchbrochen wird, desto besser.
W. H.s
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