Wanderungen durch die Mark Brandenburg
mit
landschaftlichen Beschreibungen und Genreszenen
füllt, in denen abwechselnd Kutscher und Kossäten
und dann wieder Krüger und Küster das große Wort
führen, der hat wohl genugsam angedeutet, daß er
freiwillig darauf verzichtet, unter die Würdenträger
und Großcordons historischer Wissenschaft einge-
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reiht zu werden. Ich habe »mein Stolz und Ehr«, und
zwar mit vollem Bewußtsein, auf etwas anderes ge-
setzt, aufs bloße Plaudernkönnen, und erkläre mich
auch heute noch für vollkommen zufriedengestellt,
wenn mir dies als ein Erreichtes und Gelungenes zugestanden werden sollte. Freilich bleibt daneben be-
stehen, daß in ebendiesen Kapiteln, und zwar unter
Zutun und Hülfe meiner über die halbe Provinz hin
zerstreuten Mitarbeiter , auch ein bestimmtes Quantum historischen Stoffes niedergelegt worden ist, das
eben nur hier existiert1) und an dem mißachtend vo-rübergehen zu wollen ein Fehler wäre, den, so mein
ich, niemand aus freien Stücken begehen wird, nie-
mand, dem neben dem exakten Contour auch das
Kolorit in der Kunst etwas bedeutet.
Ich erwähnte meiner Mitarbeiter und möchte der
hauptsächlichsten derselben etwas eingehender ge-
denken dürfen.
Da sind vorerst die märkischen alten Familien: der
Land - und Landesadel aus den Tagen der Putlitz, Quitzow und Rochow her. Die Gefühle für sie sind im
Laufe von vierhundert Jahren ziemlich unverändert
geblieben, ziemlich unverändert wie sie selbst. Und
aus gleicher Ursach die gleiche Wirkung. Wirklich, es
lebt in unserm Adel nach wie vor ein naives Über-
zeugtsein von seiner Herrscherfähigkeit und Herr-
scherberechtigung fort, ein Überzeugtsein, das, zum
Schaden ebensowohl des Ganzen wie der einzelnen
Teile, noch auf lange hin das Zustandekommen einer
auf Prinzipien und nicht bloß auf Vorurteil und Inte-
resse basierten Tory-Partei verhindern muß. Eine
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solche bedarf eben durchaus des dritten Standes. Es wird aber nur wenige bürgerliche »Honoratiores«
geben, die nicht – auch bei konservativster Schulung
und Naturanlage – durch den Pseudokonservatismus
unsres Adels, der schließlich nichts will als sich selbst und das, was ihm dient, in peinlichste Verlegenheit
und hellste Verzweiflung gebracht worden wären.
Immer wieder bricht es durch, erweist eben noch
gehegte Hoffnungen als ebenso viele Täuschungen
und macht ein herzliches Zusammengehn auf die
Dauer unmöglich.
Indessen, es gilt politisches und gesellschaftliches
Auftreten zu scheiden, und was seinerzeit vom Eng-
länder galt und eigentlich immer noch gilt: »in der
Fremde bedrückend, aber zu Haus entzückend«, e-
bendasselbe geflügelte Wort ist auch anwendbar auf
unsren Adel. Und weshalb? Einfach deshalb, weil er
sich daheim, an seinem eignen Herd, in sein volles
Gegenteil zu verkehren und aus der Starrheit seines
non possumus in ein alle Welt sympathisch berüh-
rendes laisser passer überzulenken weiß. Er ist eben
über Nacht ein andrer geworden. Nicht mehr in die
Defensive gestellt, nicht mehr ein kreis- oder reichs-
täglich Belagerter, der sich, in strikter Befolgung
alter Taktik, am besten durch Ausfälle zu schützen
glaubt, entäußert er sich einer ihm schließlich selbst
unbequem werdenden Stachelrüstung und kleidet
sich in das Selbstgespinst seiner vorvorderlichen Tu-
genden. Und diese Tugenden heißen: ein gut Teil
Gutmütigkeit, ein noch größeres von gesundem Men-
schenverstand und ein allergrößtes von Kritik. Und
diese Kritik ist das Beste. Mit einem seiner Zuhörer-
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schaft sich alsbald mitteilenden Behagen beginnt er
plötzlich alles unter die Loupe seiner ihm angebornen
Skepsis zu nehmen und dabei Radikalismen laut
werden zu lassen, Urteile von einer Fortgeschritten-
heit, als flösse nicht die Nieplitz oder die Notte, sondern mindestens der Hudson oder Potomac an sei-
nem alten Feldsteinturm vorüber. All das freilich nur
als jeu d'esprit ohne die geringste Neigung, sich an-
derntags in allernüchternster Morgenfrühe daran
erinnern oder wohl gar beim Worte nehmen zu las-
sen, aber auch als bloßes Spiel schon erweist es sich als bemerkenswert und verrät uns zur Genüge, daß
etwas Helles und Gewitztes, etwas Esprit-fort-haftes
in ihm steckt und daß die Wurzel jener Selbstsucht , die so vorzugsweis an ihm mißfällt, in allem möglichen, nur nicht in der Enge seines Geistes zu suchen
ist. Er ist vielmehr umgekehrt von einem scharfen
und eindringenden, ja,
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