Wanderungen II. Das Oderland.
Staat seit lange nicht mehr existierte. Die Stände hatten neben der absoluten obersten Regierungsgewalt eine Art geduldetes Dasein geführt, die Könige waren so viel und die Stände so wenig gewesen, daß, als der Moment kam, wo die zweifellos in ihrem Recht gekränkten Stände wieder etwas sein wollten, niemand mehr einen rechten Glauben an die Rechtmäßigkeit ihres Rechtes hatte. ._.
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Kronprinz Friedrich und Frau von Wreech
In edlem Zorn erhebe dich, blick auf,
Beschäme, strafe den unwürd'gen Zweifel.
Schiller
Nach des Feldmarschalls Tode fiel Tamsel an den einzigen Sohn desselben, der mutmaßlich schon bei Lebzeiten des Vaters die Verwaltung der Familiengüter übernommen hatte. Aber das schöne Schloß, das die Hand griechischer Künstler geschmückt hatte, schien kein Glück und keine Fülle des Lebens für alle diejenigen beherbergen zu sollen, die den Namen Schöning führten, und kaum anderthalb Jahrzehnte nach dem Tode des berühmten Vaters folgte ihm der unberühmte Sohn in die Gruft.
Dieser Sohn war der letzte Schöning der Linie Tamsel. Er hinterließ nur eine einzige Tochter, Luise Eleonore, die, damals ein Kind noch, unter Vormundschaft ihrer Mutter die reiche Erbschaft antrat. Luise Eleonore war mit vier Jahren die Erbin von Tamsel und mit sechzehn Jahren die Gemahlin des Obersten Adam Friedrich von Wreech. Sie war acht Jahre mit diesem vermählt, also vierundzwanzig Jahre alt, als der damals neunzehnjährige Kronprinz Friedrich, mutmaßlich in den letzten Tagen des August 1731 (bis dahin hatte er die Festung Küstrin nicht verlassen dürfen), seinen ersten Besuch in Tamsel machte.
Es ist bekannt, daß der Prinz diesem ersten Besuche andere folgen ließ und alsbald in Beziehungen zu der schönen Frau von Wreech trat, die bis in die letzten Tage seines Küstriner Aufenthaltes hinein, also bis Ende Februar 1732, fortgesetzt wurden.
Die Frage drängt sich auf: Welcher Art waren diese Beziehungen? War es ein intimes Freundschaftsverhältnis, oder war es mehr? Die darüber herrschenden Anschauungen sind dem Rufe der Dame nicht allzu günstig gewesen; verschiedene Briefe jedoch, die der Kronprinz eben damals an Frau von Wreech richtete und deren Inhalt erst in neuester Zeit bekannt geworden ist, werden vielleicht imstande sein, die gäng und gäben Ansichten über diesen Punkt zu modifizieren. Diese Briefe, die sich jetzt im Besitz einer Urenkelin befinden, wurden von der letzteren in einem auf sie vererbten Berliner Hause zufällig aufgefunden, als ihr beim Ordnen von Papieren ein schon ziemlich vergilbtes Paket mit der kurzen Bezeichnung: »Papiers concernant la famille de Wreich« in die Hände fiel. Ein zweiter Umschlag führte die Aufschrift: »Lettres et vers de certain grand prince«, woran sich, wie zu bestimmterer Bezeichnung des Inhalts, die Worte reihten: »Lettres de Frédéric II. (comme prince royal) à Mad. de Schoening et à sa fille, Mad. de Wreich«.
Diese Briefe sind auf gewöhnlichem groben Schreibpapier und oft bis an den untersten Rand hin vollgeschrieben; die Linien sind krumm, die Orthographie höchst mangelhaft, Zeit und Ortsangabe fehlen. Nur einer trägt das völlige Datum, und zwar den 5. September 1731. Doch ergibt sich aus dem Inhalt der Briefe mit Bestimmtheit, daß sie zwischen Ende August 1731 und Ende Februar 1732 geschrieben sein müssen.
Ihre Bedeutung ist in mehr als einer Beziehung nicht gering zu veranschlagen. Sie werfen zunächst ein ganz bestimmtes und sehr vorteilhaftes Licht auf die Art des Verhältnisses. So wenigstens erscheint es mir. Sollten aber auch die traditionell gewordenen Anschauungen über diesen Punkt nicht erschüttert werden, so geben uns diese Briefe doch immerhin einen Reichtum von Details und dadurch ein minutiöses Bild jener Tage.
Denn die »Frau-von-Wreech-Literatur«, wenn man uns diesen Ausdruck gestatten will, war bisher ziemlich knapp bemessen und beschränkte sich auf zwei Briefzitate, von denen das eine einem Briefe des Grafen Schulenburg, an Grumbkow, wenn ich nicht irre, das andere einem Briefe Grumbkows an Seckendorff entnommen war. Beide sehr aphoristisch, und während Schulenburg einfach meldete: »Frau von Wreech sei sehr schön und habe einen Rosen- und Lilienteint«, sprach Grumbkow von einer »starken amour«, in die der Prinz verfallen sei, und fügte noch einige derbe Worte hinzu, die der König, gewissermaßen in Billigung und Gutheißung des Verhältnisses, geäußert haben sollte. Dies ist
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