Wanderungen II. Das Oderland.
corps.« Die berühmte Kapitulation von Tauroggen war geschlossen; Alexander von der Marwitz, der jüngere Bruder, der damals in Potsdam lebte, brachte die Nachricht in fliegender Eile nach Friedersdorf. »Jetzt oder nie!« Beide Brüder waren einig, daß ein rasches und entschiedenes Parteiergreifen die Vernichtung des kaiserlichen Heeres, den Sturz Napoleons notwendig im Gefolge haben müsse; aber man war auch einig darin, daß es zweifelhaft sei, ob man in Berlin zu einem entschiedenen Parteiergreifen sich entschließen werde. Der jüngere Bruder drang in den älteren, Schritte zu diesem Zwecke zu tun, rasche Entschlüsse zu fördern, die Schwankenden fest zu machen. »Du mußt nach Berlin, zu Hardenberg.« Marwitz stutzte. Der Bruder aber fuhr mit siegender Beredsamkeit fort: »Dies ist kein Moment der Abwägungen; eile! Hardenberg ist bestimmbar und in einem ehrlich, in seinem Hasse gegen Frankreich. Vielleicht bedarf er nur eines Anstoßes. Schon dein Erscheinen nach der unwürdigen Behandlung, die du von ihm erfahren und die du mit Würde getragen, wird einen tiefen Eindruck auf ihn machen. Es muß wirken. Viel ist gewonnen, sobald du mit eingreifst.«
Marwitz ging wirklich. Er ließ sich melden und trat ein. Diese merkwürdige Begegnung mit seinem alten Gegner hat er selbst beschrieben. »Ich kann nicht sagen, welchen Eindruck mein Eintritt auf ihn machte; Erinnerung dessen, was er mir und andern persönlich so oft versprochen und nicht gehalten hatte, Scham über sein Betragen gegen das Land und gegen mich und das Bestreben, in diesem hochwichtigen Momente mir nicht abermals nichtswürdig zu erscheinen, brachten in seinem Betragen eine seltsame Mischung von Verlegenheit und zuvorkommender Höflichkeit hervor. Ich sagte ihm: der gegenwärtige Augenblick müsse jeden Preußen und jeden Deutschen ergreifen; jetzt komme es darauf an, den Schaden wiedergutzumachen, den man dem Lande zugefügt; wenn die Regierung sich jetzt würdig betrage, werde alles Vergangene vergessen werden. Ich käme also, um zu vernehmen, wie er denke, und um zu allem Vaterländischen die Hand zu bieten.«
Aber Marwitz sah sich abermals getäuscht. Nicht rascher, ehrlicher Kampf war es, was man wollte, wieder wurde von Abwarten, von Verhandlungen gesprochen; mit Bitterkeit im Herzen kehrte er nach Friedersdorf zurück. »Kein Krieg!« schien die Losung sein und bleiben zu wollen.
Indessen, der Himmel hatte es anders beschlossen. Es wurde Krieg. Sechs kostbare Wochen waren versäumt, viel war verloren, aber nicht alles, und noch war es nicht zu spät. Brauch ich zu erzählen, daß Marwitz wieder zu den Fahnen eilte! Noch weit bitterere Kränkungen und Erfahrungen hätten es nicht vermocht, ihn in solchem Augenblick in seiner Einsamkeit zurückzuhalten.
Mit dem Rang eines Majors trat er ein und ward Anfang April mit der Bildung einer Landwehrbrigade betraut. Diese Brigade bestand aus vier Bataillonen des dritten kurmärkischen Landwehrinfanterieregiments und aus ebensoviel Schwadronen Landwehrkavallerie. Selber mit Eifer und Vorliebe Kavallerist, ließ er sich die Ausbildung dieser vier Schwadronen besonders angelegen sein. Mit jenem gesunden Sinn, der ihn immer ausgezeichnet hatte, erkannte er auf der Stelle, daß hier unter »Ausbildung« etwas anderes verstanden werden müsse, als das Reit- und Exerzierreglement in langen Paragraphen vorschrieb. Was er tat, auch auf diesem relativ untergeordneten Gebiete, scheint mir wichtig und charakteristisch genug, um einen Augenblick dabei zu verweilen. Die Raschheit und Selbständigkeit des Urteils, die jeder neuen Situation auch ein neues Benehmen anzupassen weiß, ist es ja vor allem, was den fähigen Offizier von dem bloß braven Soldaten unterscheidet, und in ähnlicher Weise, wie einst Lieutenant von dem Knesebeck während des Feldzugs in der Champagne einen halben Brottransport dadurch zu retten gewußt hatte, daß er nicht Anstand nahm, die andere Hälfte (ein paar tausend Kommißbrote) in einen sonst unpassierbaren Sumpf zu versenken, so war auch Marwitz seiner Landwehrkavallerie gegenüber rasch entschlossen, das erreichbar Unvollkommene einer unerreichbaren Vollkommenheit vorzuziehen. Sosehr er die Reitkunst verehrte und als unentbehrlich für eine echte, eigentliche Reiterei betrachtete, so klar erkannte er doch auch, daß unter den gegebenen Verhältnissen diese Reitkunst nicht gehegt und gepflegt werden konnte, ohne alles zu verderben. Die Landleute und Bauernknechte, die auf ihren
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