Wanderungen II. Das Oderland.
ganze Nacht bei ihm, ihm an die Hand zu gehen.
Um elf Uhr ging ich wieder zu ihm; ich konnte nicht schlafen; aber wenn ich noch so bekümmert und beängstet war und sah ihn nur, so richtete und munterte seine Standhaftigkeit mich wieder auf. Und ich betete und sang mit bis um ein Uhr morgens. Von zwei bis drei Uhr sah man an der Couleur des Gesichts wohl einen harten Kampf des Fleisches und Blutes. Um diese Zeit hat der Prediger ihn gebeten, sich ein wenig aufs Bette zu legen, um für sein Gemüt neue Kräfte zu erlangen, welches er auch getan und von drei bis fünf Uhr geschlafen, wo ihn das Ablösen des Postens aufgewecket. Darauf er kommunizieret. Wie das vorbei, ging ich wieder zu ihm. Da sagte er mir, sein Zeug, so er bei sich hätte, sollte mein Kerl haben, seine Bibel schenkte er dem Korporal, welcher sehr fleißig mit ihm gesungen und gebetet, insonderheit das oben benannte Lied, sooft er ohne den Prediger allein gewesen.
Wie kurz vor sieben das Kommando der Gensdarmes da war, fragte er mich: ›ob es Zeit wäre‹. Wie ich solches mit Ja beantwortet, nahm er Abschied von mir, ging hinaus, und das Kommando nahm ihn in die Mitte; der eine Prediger ging zur Rechten, der andre zur Linken und beteten und sprachen ihm immer vor. Er ging ganz frei und munter, den Hut unter dem Arm, nicht gezwungen noch affektiert, sondern ganz naturell weg.
Er war ein paar hundert Schritte längs dem Wall geführet und waren die Zugänge des Walles militärisch besetzt, so daß wenig Menschen oben waren. Im Kreise ward ihm nochmals die Sentenz vorgelesen, ich kann aber hoch versichern, daß ich vor Betrübnis nichts gehöret habe, und wußt auch nicht drei Worte zusammenzubringen. Bei Vorlesung der Sentenz stund er ganz frei; wie solches vorbei, fragte er nach den Offiziers von den Gensdarmes, ging ihnen entgegen und nahm Abschied. Hernach ward er eingesegnet. Darauf gab er die Perruque an meinen Kerl, der ihm eine Mütze darreichte, ließ sich den Rock ausziehen und die Halsbinde aufmachen, riß sich selbst das Hemd herunter, ganz frei und munter, als wenn er sich sonsten zu einer sérieusen Affaire präparieren sollen, ging hin, kniete auf den Sand nieder, rückte sich die Mütze in die Augen und fing laut selbst an zu beten: ›Herr Jesu! dir leb ich‹ etc. Weil er aber meinem Kerl gesagt, er sollt ihm die Augen verbinden, sich aber hernach resolvieret, die Mütze in die Augen zu ziehen, so wollte der Kerl, der schrecklich konsternieret, ihm immer noch die Augen verbinden, bis von Katt ihm mit der Hand winkte und den Kopf schüttelte.
Darauf fing er nochmalen an zu beten: ›Herr Jesu!‹, welches noch nicht aus war, so flog der Kopf weg, welchen mein Kerl aufnahm und wieder an seinen Ort setzte.
Seine présence d'esprit bis auf die letzte Minute kann nicht genug admirieren. Seine Standhaftigkeit und Unerschrockenheit werde mein Tage nicht vergessen, und durch seine Zubereitung zum Tode habe vieles gelernet, so noch weniger zu vergessen wünsche.«
Außer dieser Relation des Majors von Schack liegt auch ein Bericht des Garnisonpredigers Besser vor, der, wie vorerwähnt, in Assistenz des Feldpredigers Müller, den von Katt auf seinem letzten Gange begleitete. Auf die Angaben dieser beiden »Augenzeugen« (von Schack und Besser) werden wir auch in der Folge bei Lösung schwebender Fragen in allen Hauptpunkten angewiesen sein. Alles andere steht erst in zweiter Reihe. Hier zunächst der Schluß des Besserschen Berichts im Wortlaut.
»... So trat er seinen letzten Gang zum Vater an mit solcher freimütigen Herzhaftigkeit, die jeder bewundern mußte. Seine Augen waren meistens zu Gott gerichtet und wir erhielten sein Herz unterwegens immer himmelwärts durch Vorhaltung der Exempel solcher, die im Herrn verschieden, als des Sohnes Gottes selbst und des Sankt Stephanus wie auch des Schächers am Kreuz, bis wir uns unter solchen Reden dem hiesigen Schlosse näherten. An andern, die solchen Gang gehen, habe ich sonst wohl Alteration und Betrübnis ihrer Sinne gemerket, wenn sie dem entsetzlichen Gerichtsplatz nahe kamen, daß ihnen auch öfters der freudige Mut entfallen ist. Ich hatte daher auch meine Obacht, ob der Wohlselige auch etwa eine verborgene Hoffnung in seinem Herzen hege wegen Linderung seines auszustehenden Urteils, wenn solche aber fehlschlagen möchte, daß ja nicht Kleinmütigkeit und schüchterne Blödigkeit entständen. Allein Gott sei gedanket, der ihn mit seinem Freudengeist in seiner letzten Stunde stärkte
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