Wandlung
würde eine Mahlzeit zubereiten, Jane und Sian zum Abendessen einladen und mitten im Gespräch allem ein Ende machen – eine schnelle, saubere Lösung.
Dann schalt er sich, nicht so bescheuert zu sein; er hatte mittlerweile so lange im Angesicht tödlicher Gefahr zugebracht, dass er den Tod zu einem Fetisch erhoben hatte und nur noch seinen kunstvollen Abgang plante, statt um sein Leben zu kämpfen.
Er fügte den Sprengstoffklumpen der Hauptladung hinzu.
Jane ging, um die Impulsgeber aus der Kantine zu holen. Sie lagen in einem schwarzen Plastikbehälter, drei an der Zahl, fest in eine Vertiefung im Schaumstoff gebettet. Jeder Impulsgeber bestand aus einem Pistolengriff mit einem roten Auslöseknopf auf der Oberseite.
Jane schob die Batterien probeweise in eine Taschenlampe, um sich zu vergewissern, dass sie geladen waren. Dann führte sie die Batterien in das untere Ende jedes Pistolengriffs ein.
Jane suchte Sian.
»Ich glaube, sie ist nach draußen gegangen«, sagte Ghost.
Im Flur über der Luftschleuse 52 blinkte ein rotes
Licht, eine Warnung, dass die Außentür offen gelassen worden war.
Jane zog ihre Jacke an und trat ins Freie. Am Ende des Laufgangs sah sie Sian stehen, über die Reling gebeugt, den Blick auf die Eisfläche tief unten gerichtet.
Vor ein paar Wochen, als sie noch dick und verzweifelt gewesen war, hatte Jane sich an einer vergleichbaren Stelle über das Geländer gelehnt und sich gezwungen, zu springen. Sie überlegte, ob Sian jetzt ganz ähnliche Gedanken hegte.
Sian beugte sich weiter vor.
»He.« Jane griff zu den einzigen Worten, die vielleicht Sians Verzweiflung zu durchdringen vermochten. »Komm schon, Mädchen, wir brauchen deine Hilfe.«
Zusammen gingen sie zum Pumpenhaus.
Ghost war damit beschäftigt, die Klemmen der Impulsgeber mit Draht zu umwickeln. »Die Fenster habe ich schon verklebt«, sagte er. »Es wäre vielleicht besser, wenn wir uns nicht gleich hinter die Scheiben stellen. So ganz kann ich die Wucht der Explosion nicht einschätzen.«
Sie standen einander gegenüber und sahen sich an.
»Möchtest du ein Gebet sprechen?«
Jane verneinte.
»Sind alle bereit?«
»Ja.«
»Also gut. Los geht’s. Drei. Zwei. Eins …«
36 – Countdown
Nikki presste ihr Ohr an die Bunkertür: keine Windgeräusche zu hören.
Aus einem Haufen mit Schneemobilersatzteilen, den jemand vor der Tunnelwand aufgeschichtet hatte, kramte sie einen Schutzhelm hervor, öffnete dann die Bunkertür. Zwei infizierte Passagiere standen mit dem Rücken zu ihr, den Blick aufs Meer gerichtet. Sie holte mit dem Schutzhelm aus und schlug ihnen den Schädel ein.
Nikki kletterte die Klippen hinauf, ging auf dem höher gelegenen Gelände in die Hocke und betrachtete die Bohrinsel durch einen Feldstecher. Der Nebel hatte sich gelichtet, die Rampart war in das zarte Licht einer Dämmerung getaucht, die niemals anbrechen würde.
Sie korrigierte die Brennweite. »Siehst du?«, vernahm sie die Stimme ihres toten Freundes. »Sie haben sämtliche Treppen und Leitern entfernt. Es gibt keine Möglichkeit, an Bord zu gelangen.«
»Ich könnte die Trossen hochklettern.«
»Zu steil und zu glatt.«
»Ich könnte mir einen Strick besorgen und ihn an einem Geländer festhaken.«
»Zu hoch. Den Aufstieg würdest du niemals bewältigen.«
»Aber irgendeine Möglichkeit muss es geben.«
Sie wechselte zu Infrarot. Die eingefrorenen stählernen
Aufbauten der Bohrinsel verzeichneten keinerlei Wärmesignatur – mit Ausnahme des Wohnmoduls A, das matt orange schimmerte. Jemand hatte die Heizung eingeschaltet.
Sie suchte die Laufgänge und Gerüste ab. Da war ein roter Punkt, sie zoomte ihn heran, ein leuchtendes Strichmännchen, das langsam und mit gesenktem Blick ging, als ob es einer Fährte folgte.
»Diese Mistkerle halten alle Trümpfe in der Hand. Sie haben Lebensmittel, sie haben eine Heizung, und sie sind bewaffnet.«
»Ich bin für sie verantwortlich, deswegen bin ich zurückgekommen. Ich muss sie retten, vor sich selber retten.«
Nikki war bereits wieder halb beim Bunker zurück, als sie die Explosion hörte, ein tiefes, grollendes Tosen wie Gewitterdonner. Sie lief zur Küstenlinie hinunter. Zwei der mächtigen Ankertrossen der Bohrinsel waren verschwunden, das Eis unterhalb der Plattform zertrümmert.
Sie zog die Kappen ihres Feldstechers ab, der immer noch auf Infrarot eingestellt war. Die Kupplungen an den Ecken erstrahlten in kräftigem Rot. Sie stellte ihn um,
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