Wandlung

scheint nicht gerade viel gedacht zu werden.«
    Nikki stand hinter Nail, sie klatschte ihm ihre flache Hand auf die kahl rasierte Schädeldecke und zog seinen Kopf in den Nacken. Er schrie auf vor Schmerz. Sie ließ
das Metallstück in seinen Mund fallen und klappte seinen Kiefer zusammen. Er knirschte mit den Zähnen, sträubte sich und schlug um sich. Eine volle Minute hielt sie ihn fest, ehe sie ihren Griff wieder lockerte. Er spuckte den Metallsplitter auf den Fußboden.
    »Du verdammtes Miststück«, greinte er. »Du gottverdammtes Miststück.« Er würgte und spuckte aus in dem erbärmlichen Versuch, sich von der Infektion in seinem Mund zu befreien.
    Nikki zog einen Drehstuhl heran und platzierte ihn genau vor Ghost. »Sein Name ist nicht Nail Harper, das ist dir doch bekannt, oder? Er heißt David Tuddenham, ein Versager. Ein kleiner Dieb, ein kleiner sonst was. Aber all diese Schmerzen, diese Kränkungen werden sich jetzt in nichts auflösen. Sein ganzes gescheitertes Leben wird einfach dahinschmelzen.«
    »Du bist wahnsinnig«, sagte Ghost. »Du bist einhundert Prozent hochgradig bescheuert.«
    »Denk nach«, sagte Nikki, stand auf und lief auf und ab, so als halte sie vor einer Klasse einen Vortrag. »Nimm dir einen Moment Zeit und denk nach. Diese Situation, dieser neue Seinszustand mag seltsam sein, aber ist er notwendigerweise auch schlecht? Möglicherweise bietet sich hier die wunderbare Gelegenheit zu etwas völlig Neuem. Das ist doch gut, oder? Die meisten Menschen wünschen sich ihr Leben lang, anders sein zu können.«
    »Du hast doch in Brighton studiert, richtig? An der Universität Brighton?«
    »Ja, stimmt.«
    »Was hast du da studiert?«
    »Biogeografie«, sagte Nikki. »Ozeanografie. Ökosysteme.«
    »Hat es dir Spaß gemacht?«

    »Natürlich. Deswegen habe ich es ja studiert.«
    »Dann versetz dich mal zurück. Versuch, dich zu erinnern, was genau dir daran Spaß gemacht hat.«
    »Das Nachtleben. Alan und ich hatten eine Wohnung direkt an der Promenade, es war himmlisch.«
    »Kannst du dich an deinen ersten Tag an der Uni erinnern, an den Tag, an dem du angekommen bist? Erinnerst du dich, wie dir da zumute war?«
    »Meine Eltern hatten mich mitsamt meinen Koffern abgesetzt. Ich war ganz aufgeregt, weil ich von zu Hause fortkam. Und nervös, weil ich vielleicht keine Freunde finden würde.«
    »Dieses Mädchen von damals, die Person, die du damals warst, kannst du dich noch an sie erinnern? Könntest du sie dir ins Gedächtnis rufen, nur für einen Moment? Was würde sie wohl sagen, wenn sie dich jetzt sähe?«
    Nikki brach ein weiteres Metallstück aus dem Innern des Kosmonautenhelms ab und betrachtete es ausgiebig.
    »Ich habe es so satt, ich selbst zu sein.«
    »Ich kann dir helfen, Nikki, es gibt einen Ausweg aus all dem hier.«
    »Die Last des Selbstseins«, seufzte sie. »Eine lebenslange Qual, diese Anstrengung, ein kompliziertes, künstliches Etwas zu unterstützen, dieser Versuch, mithilfe von Haarschnitten und Klamotten unsere idiotische Fassade aufrechtzuerhalten, nur um gegenüber einer gleichgültigen Welt ureigenst Position zu beziehen. Wir trinken, wir rauchen, wir verplempern ein Vermögen für DVDs, und das alles nur, um für ein paar Minuten uns selbst zu entfliehen.«
    »Aber um dich besser zu fühlen, musst du doch nicht
gleich zum Marsmenschen mutieren – das wäre ja so, als würde man sich in den Kopf schießen, um seine Kopfschmerzen zu kurieren.«
    Nikki schloss die Augen, legte das Metallstück auf ihre Zunge und schluckte es hinunter. Ein Lächeln zog über ihre Lippen.
    Sie stand vor Nail, beugte sich herab und küsste ihn.
    Dann nahm sie ihren Platz vor Ghost wieder ein.
    »Tut mir unendlich leid, Nikki.«
    »Ich wollte dich umbringen, ich hatte vor, euch alle zu töten, so sehr habe ich euch gehasst. Keine Ahnung, warum, aber ich wollte, dass ihr euch uns anschließt. Zwingen werde ich euch nicht. Und was Nail betrifft, er ist ein kleines Kind, ich musste in seinem Namen eine Entscheidung treffen. Aber von euch, Leute, von euch erwarte ich, dass ihr euch freiwillig entschließt.«
     
    Jane passierte mehrere Technikräume. Die meisten Deckenlampen hier waren zertrümmert; da sie Batterien sparen wollte, zündete sie eine Leuchtfackel an. Sie brannte in grellem Violett.
    Abzugsschächte, Filter für die Luftentfeuchtung.
    Die Klimaanlage war kaputt, die Ventilatoren in den Luftkammern, die die Luft durch den gesamten Komplex hätten drücken sollen, waren