Wandlung
Trümmerteile, Berge von verbrannten
Rettungswesten und Sitzbanklamellen. Das Feuer war schon vor langer Zeit erloschen, die ausgebrannten Holzteile mit einer feinen Schneeschicht bedeckt.
Ghost ging neben den Trümmerteilen in die Hocke und stocherte mit einem Stock in der Asche.
»Hast du was gefunden?«, fragte Ivan, als er sich auf dem Deck zu Ghost gesellte.
»Knochenteile, einen Brustkorb und mindestens zwei Schädel.« Er fischte mit seinem Stock eine Blechdose heraus und las das Etikett: Kerosin.
»Ich wünschte, wir hätten ein paar mehr von diesen Gewehren zum Verteilen«, sagte Ivan.
»Suchen wir die Schlüssel.«
Ein Flur mit einer Reihe von Büros der Schiffsverwaltung. Auf dem Fußboden ein Blutspritzer.
»Macht einen großen Bogen darum«, riet Jane. »Geht davon aus, dass es infiziert ist.«
Aus einem Nebenraum war ein schwaches Zischen zu hören. Jane stieß die Tür leicht mit dem Fuß auf: der Funkraum. Der Bordfunker war an seinem Schreibtisch gestorben, sein Leichnam verschmolz ganz allmählich mit der Telexkonsole, sein Oberkörper war bereits vollkommen eingesunken, so, als würde er Kopf voran von seinem Arbeitsplatz verschlungen.
Mit einem Ruck riss Jane das Stromkabel aus der Wand. Funken sprühten, und der Konsolentisch erstarb; das leise Zischen hörte auf.
Sie entdeckten das Büro des Zahlmeisters.
»Wir könnten zu Millionären werden«, sagte Punch. »All die alten Schachteln, die es auf einer Kreuzfahrt durch die Ostsee gibt. Die Tresorfächer sind bestimmt mit Perlen und Diamanten vollgestopft.«
»Aber wo sind all die alten Damen hin?«, fragte Jane.
In der Wand entdeckte sie einen Schlüsselschrank, riss daran, schlug dagegen. Dann schob sie den Verschluss ihrer Waffe ganz nach hinten. »Tretet mal ein Stück zurück.«
Ghost löste das Funkgerät von seinem Gürtel. »Jane? Alles in Ordnung bei euch da oben?«
»Uns geht es prima.«
»Wir haben einen Schuss gehört.«
»Wir haben ein paar Schlüssel gefunden und machen uns jetzt auf den Weg zurück zur Brücke.«
»Wir haben hier eine Art Batterieraum gefunden. Ich werde jetzt ein paar Schalter umlegen, mal sehen, was passiert.«
»Meinst du, diese Batterien sind noch aufgeladen?«, fragte Ivan.
»Sie sollen die Stromversorgung für die Beleuchtung und die Heizung aufrechterhalten, für den Fall, dass die Maschinen nach einer Kollision mit einem Eisberg oder sonst etwas ausfallen. Ein paar Tage müssten sie noch funktionieren.«
Jane schaufelte händeweise Schlüssel aus ihrer Tasche und schmiss sie auf die Steuerkonsole, legte dann eine Decke über den Kapitänssessel, um sich nicht in das Blut setzen zu müssen. Anschließend steckte sie die Schlüssel einen nach dem anderen in das Armaturenbrett über der Lenksäule und warf sie dann fort.
»Wie lange wird es dauern, bis das Schiff außer Reichweite der Bohrinsel getrieben sein wird?«
»Eine Stunde, höchstens zwei.«
Punch stand im Nebenraum und betrachtete den Kapitän.
Der Mann lag auf der Seite, die Beine immer noch angezogen, als sei er im Begriff, sich hinzusetzen. Punch faltete eine Karte auseinander und drapierte sie über seinen Kopf, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. »Ich gehe jetzt raus an Deck«, sagte er. »Ich denke, ich werd mich mal ein wenig umsehen.«
Punch stieg über die Außentreppe aufs Oberdeck.
Im Freibad gab es ein leeres Kinderbecken, dessen Boden mit Schwimmwesten übersät war.
Der Winterland-Grill, zertrümmerte Teller und ein umgestürzter Barbecue-Grill.
Aus dem Nebel über ihm schälte sich ein riesiger Schornstein.
Er entdeckte ein Oberlicht, rieb mit seiner behandschuhten Hand über das Glas, befreite es von einer schneedicken Reifschicht und leuchtete mit einer Taschenlampe in das Dunkel.
Offenbar hatte Ghost im Batterieraum einen Schalter für die Stromversorgung gefunden, denn plötzlich erstrahlte das Schiff in blendendem Weiß. Grelle Scheinwerfer beleuchteten die Decks, die Galerien, Badminton-Platz und Minigolf-Anlage. Die Lichterketten zwischen den Schornsteinen schimmerten im Nebel wie fahles Sonnenlicht.
Punch hockte sich über das Oberlicht und blickte hinunter in den Großen Ballsaal. Art-déco-Wandleuchter erglühten bernsteinfarben wie für eine Abendgesellschaft, doch offenbar war die Tanzfläche in einen Krankensaal verwandelt worden: Reihe auf Reihe von Betten, und in den Betten bandagierte Körper, einige in Pyjamas, andere in Ballkleidern und Abendanzügen. Durch
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