Wandlung
Promenadendecks
umherschlendern sehen. An jeder Barrikade war das Scharren und Klopfen der Passagiere zu hören, die sich auf der anderen Seite der Schottentüren sammelten, eine Geräuschkulisse aus Kratzen und Scharren, die weder bei Tag noch bei Nacht nachließ.
»Für den Fall eines Ausbruchs«, erklärte Ghost, »benötigen wir ein einfaches Signal. Sobald einer von euch etwas bemerkt, sobald einer dieser Freaks es von den unteren Decks bis hier herauf schafft, sobald es ihnen gelingt, die Barrikaden zu überwinden, ruft ihr ›Ausbruch‹. Daraufhin werden alle in ihre Stiefel steigen, sich ihre Axt schnappen und die Hufe schwingen.«
Punch hatte ein paar getrocknete Pilze gefunden und daraus ein Risotto zubereitet. Als er das Abendessen servierte, machte er eine kleine Show daraus, er zündete Kerzen an, deckte den Tisch mit Silberbesteck und Leinenservietten.
Die Mannschaft saß in einem holzgetäfelten Speisesaal mit Galeonen an den Wänden und applaudierte jedes Mal, wenn er eine Glocke von einem Teller hob oder eine Weinflasche entkorkte.
Zwei Plätze waren leer geblieben. Jane hatte es vorgezogen, an Bord der Rampart zu bleiben, und Mal befand sich auf Patrouillengang entlang der Barrikaden auf der Hyperion .
Punch nahm am Tisch Platz, er saß neben Sian. Nikki war mit ihrem Floß davongesegelt, Rye galt als verschollen, man vermutete, sie habe sich umgebracht. Niemand vermisste die beiden, allerdings vögelte Punch jetzt die einzige noch an Bord verbliebene Frau, weshalb er sich eines zunehmend neidischen Untertons bei den anderen bewusst wurde.
»Es ist köstlich«, sagte Ghost und schenkte Chardonnay nach.
»Danke.«
»Aber eigentlich hätten wir einen Truthahn auftreiben müssen.«
»Wieso das?«
»Schätze, du hast in der letzten Zeit nicht auf den Kalender gesehen.« Er hob sein Glas. »Fröhliche Weihnachten.«
»Du nimmst mich auf den Arm.«
»Also, was denkst du, was sollten wir tun, wenn wir nach Hause zurückkehren?«, fragte Ghost. »Sollten wir versuchen, andere Überlebende aufzuspüren, oder uns irgendwo verstecken?«
Punch dachte darüber nach. Über die Vergangenheit mochte niemand sprechen, niemand mochte über Angehörige oder Freunde reden, die längst tot und beerdigt waren. Aufgrund eines stillschweigenden Übereinkommens kreisten ihre Gespräche ausschließlich um die Zukunft. Es war zu ihrem abendlichen Zeitvertreib geworden, jetzt, da das Fernsehsignal endgültig abgeschaltet war und die DVDs nur Depressionen und seelische Qualen hervorriefen: altmodisches Geschichtenerzählen, Gespräche wie am Lagerfeuer. Jeder von ihnen kam nur zu gern der Bitte nach, in ausschweifenden Einzelheiten das Leben zu schildern, das er sich aufbauen würde, sobald sie wieder nach Hause kämen.
Es gab Diskussionen wie: »Was für ein Auto wirst du fahren, wenn du erst mal wieder in die Welt zurückgekehrt bist?«
»Einen Lamborghini Countach. Das Ding ist uralt und ein Schrotthaufen, aber als ich klein war, hab ich mal einen auf der Straße gesehen, und seitdem wollte ich immer einen haben.«
»Dann solltest du dir diese Freude gönnen, solange es noch geht.«
»Was meinst du?«
»Ein paar harte Winter, mehr braucht es nicht. Sämtliche Straßen werden rissig und zerfurcht sein wie ein Feldweg. Ich nehme mir einen Landrover, der bringt einen wenigstens hin, wohin man will.«
Oder auch: »Welche Uhr wirst du tragen?«
»Auf unserer Hauptstraße gab es früher mal einen schnieken Juwelier, auf dem Weg zur Arbeit bin ich jeden Tag daran vorbeigekommen. Da hatten sie eine Reihe von Rolex-Uhren auf einem blauen Samtkissen ausliegen. Ich hab mir immer geschworen: Wenn ich eines Tages reich bin, werde ich eine davon besitzen. Eine goldene U-Boot-Fahrer-Uhr, tellergroß.«
»Du willst ein Schaufenster einschlagen und dir eine Rolex klauen?«
»Ich werde mir für jeden Tag der Woche eine schnappen.«
»Du glaubst also, dass es noch andere Überlebende geben könnte?«, fragte Punch.
»Wir können unmöglich die letzten Menschen auf der Erde sein. Ich wette, es haben sich jede Menge Leute in Höhlen oder Kellern oder auf abgelegenen Farmen versteckt. Vermutlich werden ein paar von denen die Städte zurückerobern wollen, einen Neustart wagen und die Welt wieder ans Laufen kriegen. Und ein paar wenige werden es wie die Amish halten und einen einfachen Lebensstil pflegen. Was mich betrifft, ich bin eher der Blockhüttentyp. Ich denke, ich werde mir eine Hütte in den schottischen
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