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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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man nicht zu entschlüsseln wagt, denn die geheimnisvollen Zeichen bedeuten alles Glück und alles Unglück. Für sie war ich der Zustand, nach dem man sich ein Leben lang sehnt, und dann, wenn sich die Möglichkeit ergibt, sich den Wunsch zu erfüllen, schreckt man zurück, wütend und enttäuscht. Lázár mochte ein Stück von Strindberg sehr, das Traumspiel . Du kennst es? … Ich hingegen habe es nie gesehen. Er zitierte immer wieder Zeilen und Szenen daraus. Er sagte, in diesem Drama komme jemand vor, dessen sehnlichster Wunsch es ist, vom Leben mit einem grünen Anglerkasten beschenkt zu werden, du weißt ja, mit so einer grünen Blechkiste, in der die Angler die Angelhaken, die Angelschnur und die Köder aufbewahren. Und dieser Mensch wird alt, das Leben vergeht, bis sich die Götter schließlich erbarmen und ihn mit dem Anglerkasten beschenken. Und dann tritt der Darsteller, in der Hand das langersehnte Geschenk, an die Rampe vor, untersucht den Kasten gründlich und sagt dann tieftraurig: »Das ist nicht das richtige Grün …« Lázár zitierte zuweilen diesen Satz, wenn die Menschen von ihren Sehnsüchten sprachen. Und als Judit mich allmählich kennenlernte, spürte ich, daß ich für sie »nicht das richtige Grün« war. Lange wagte sie nicht, mich zu sehen, wie ich bin. Man getraut sich lange nicht, das Ersehnte, das Ideal auf Menschenmaß zurückzustutzen. Wir lebten schon zusammen, und die unerträgliche Spannung, die unsere vorangegangenen Jahre befallen hatte wie eine Fieberkrankheit, gab es nicht mehr, wir waren füreinander schon Menschen, ein Mann und eine Frau, Menschen mit körperlichen Schwächen und alltäglichen Problemen, und noch immer hätte sie mich gern so gesehen, wie ich mich selbst nie sah. Wie einen Priester oder ein erhabenes Wesen aus einer anderen Welt. Ich aber war bloß ein einsamer Mensch, der hoffte.
    Das Kaffeehaus ist schon ganz leer. Laß uns auch gehen, ja? Ich erzähle dir nur noch den Schluß. Gibst du mir Feuer? Danke. Ich will, da ich nun einmal davon angefangen habe und wenn es dich nicht langweilt, noch erzählen, worauf ich hoffte und wie ich die Wahrheit erfuhr und ertrug.
    Jetzt paß auf. Auch ich passe auf. Blicke in meine Seele und passe sehr auf. Es geht um die Wahrheit, ich muß ganz bei der Wahrheit bleiben.
    Ich, mein Lieber, hoffte auf ein Wunder. Auf was für eins? … Ganz einfach darauf, daß die Liebe mit ihrer ewigen, übermenschlichen, geheimnisvollen Kraft die Einsamkeit aufhebt, die Entfernung zwischen zwei Menschen verringert und die künstlichen Trennwände abreißt, welche die Gesellschaft, der Name, das Vermögen, die Vergangenheit und die Erinnerungen zwischen uns errichten. Ich war wie jemand, der in Lebensgefahr um sich blickt und eine Hand sucht, die mit heimlichem Druck versichert, daß es Anteilnahme und Mitleid noch gibt, daß noch irgendwo Menschen leben. So griff ich nach Judit.
    Nachdem die erste Verlegenheit, die Spannung und das gereizte Warten vorbei waren, griffen wir natürlich mit der Gebärde der Liebe nacheinander. Und dann heiratete ich sie und wartete auf das Wunder.
    Ich stellte es mir ganz einfach vor. Ich dachte, im Schmelztiegel der Liebe würden unsere Gegensätze verschmelzen. Ich legte mich mit dieser Frau ins Bett wie der Wanderer, der nach langem Irren durch fremde Lande und vielen Heimsuchungen endlich nach Hause zurückkehrt. Zu Hause ist alles viel einfacher, aber auch geheimnisvoller, ahnungsreicher, denn auch das spektakulärste Ausland bietet nicht das Erlebnis, das sich in den vertrauten Zimmern verbirgt. Dieses Erlebnis ist die Kindheit. Die Erinnerung an das Warten. Wie es in den Tiefen eines jeden Lebens ist. Daran erinnern wir uns, auch wenn wir später den Gaurisankar sehen oder den Michigansee. Die Beleuchtung, die Töne, die Freuden und Überraschungen, die Hoffnung und die Angst sind so wie in der Kindheit. Das ist es, was wir lieben, was wir immer und immer wieder suchen. Und dem Erwachsenen bringt vielleicht nur die Liebe etwas von dieser zitternden, hoffnungsvollen Erwartung zurück. Die Liebe und also nicht nur das Bett und alles, was dazugehört, sondern die Augenblicke der Suche, des Wartens, während zwei Menschen aufeinander zukommen.
    Judit und ich gingen ins Bett, und wir liebten uns. Leidenschaftlich, erwartungsvoll, begeistert, staunend und hoffend. Wahrscheinlich hofften wir, daß wir alles, was die Welt und die Menschen kaputtgemacht hatten, in dieser anderen, reineren,

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