Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
im Namen des Gesetzes, auf dem die Gesellschaft aufgebaut ist. Die Menschen ertragen nicht grundlos die peinliche Langeweile des organisierten Zusammenlebens, quälen sich nicht grundlos mit ermüdenden, ihnen längst verleideten Beziehungen ab und willigen nicht grundlos in die Entsagungen ein, die ihnen von den gesellschaftlichen Konventionen aufgezwungen werden. Wenigstens wollen sie das Gefühl haben, niemand sei berechtigt, nach eigenen Vorstellungen Befriedigung, Ruhe und Freude zu suchen, während sie, die vielen, in die Zensur ihrer Gefühle und Sehnsüchte eingewilligt haben, in die große Gesamtzensur, die Zivilisation. Und so sind sie empört und rotten sich zusammen und bilden Femegerichte und erlassen das Urteil in Form von Klatsch, sobald sie erfahren, daß sich jemand aufzulehnen wagt, daß er eine eigene Medizin gegen die Einsamkeit des Lebens entwickelt hat. Und jetzt, da ich allein bin, frage ich mich durchaus, ob die Feindschaft der Menschen gegen ungeregelte Lebenslösungen wirklich so ungerecht ist.
Nur so unter uns gefragt, nach Mitternacht.
Die Frauen verstehen das nicht. Nur ein Mann versteht, daß es auch noch anderes gibt als das Glück. Vielleicht ist das die große und unlösbare Meinungsverschiedenheit zwischen den Männern und den Frauen in fast allen Lebenslagen. Für die Frau, wenn sie eine wirkliche Frau ist, gibt es nur eine einzige Heimat: den Platz, den der Mann, zu dem sie gehört, in der Welt innehat. Für den Mann gibt es eine andere Heimat, eine ewige, unpersönliche, tragische, mit Fahnen und Landesgrenzen. Ich will damit nicht sagen, daß den Frauen an der Gemeinschaft, in die sie hineingeboren werden, nichts liegt, oder nichts an der Sprache, in der sie schwören und lügen und einkaufen, oder an der Landschaft, in der sie aufgewachsen sind, und ich will auch nicht sagen, daß sie nicht anhänglich, opferbereit, treu und manchmal vielleicht auch heldenhaft sein können, wenn es um die andere Heimat geht, die der Männer. In Wahrheit sterben Frauen nie für die Heimat, sondern immer nur für einen Mann. Jeanne d’Arc und die wenigen anderen sind Ausnahmen, Frauen mit männlicher Wesensart. In neuerer Zeit gibt es immer mehr von ihnen. Weißt du, der Patriotismus der Frauen ist viel stiller, schlagwortfreier als der männliche. Sie halten es mit Goethe, der gesagt hat, wenn ein Bauernhaus abbrenne, sei das die wahre Tragödie, wenn aber ein Vaterland zugrunde gehe, sei das zumeist nur ein Schlagwort. Die Frauen wohnen immer nur in diesem Bauernhaus. Dafür leben und arbeiten sie, darum bangen sie, um dessentwillen sind sie zu allen Opfern bereit. In dem Haus gibt es ein Bett, einen Tisch, einen Mann, manchmal ein Kind oder mehrere Kinder. Das ist die wahre Heimat der Frau.
Wie gesagt, wir liebten uns. Und ich will dir etwas sagen, wenn du es nicht längst weißt: Die wahre Liebe ist immer tödlich. Ich meine, ihr Ziel ist nicht das Glück, die Idylle, das Händchenhalten, das Spazieren unter blühenden Linden, bis daß der Tod uns scheidet, das liebe Lampenlicht auf der Veranda, das lavendelduftende Daheim. Das ist das Leben, nicht die Liebe. Die brennt mit ernsterer, gefährlicherer Flamme. Eines Tages kommt der Wunsch, diese zerstörerische Leidenschaft kennenzulernen. Weißt du, wenn man sonst nichts dabei gewinnen will, durch die Liebe nicht gesünder, ruhiger, befriedigter sein, sondern existieren will, voll und ganz und auf die Gefahr hin, zugrunde zu gehen. Viele lernen dieses Gefühl gar nie kennen. Das sind die Vorsichtigen; ich beneide sie nicht. Und dann gibt es die Gierigen und die Naschhaften, die aus allen Töpfen kurz mal kosten. Bemitleidenswerte Geschöpfe. Und dann die wild Entschlossenen und Schlauen, die Taschendiebe der Liebe, die blitzschnell ein Gefühl stehlen, aus den Verstecken eines Körpers eine Schwäche herausholen, und schon sind sie mit schadenfrohem Gelächter im Dunkeln, in der Menge, im Leben verschwunden. Dann die Feigen und Bedächtigen, die in der Liebe alles berechnen wie im Geschäftsleben, mit Terminen für auslaufende Lieben und genauen Richtlinien für das eigene Tun. Die meisten sind so. Erbärmliche Hanswürste. Aber das gibt es auch, daß man eines Tages versteht, was das Leben mit der Liebe wollte, warum es den Menschen dieses Gefühl gegeben hat. War es gut gemeint? Die Natur ist nicht gütig. Verspricht sie mit diesem Gefühl den Menschen das Glück? Sie hat solche menschlichen Illusionen nicht nötig. Die Natur will nur
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