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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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ursprünglicheren Heimat, im Bett, im entgrenzten Niemandsland der Liebe, aneinander wiedergutmachen würden. Jede Liebe, der ein langes Warten vorangegangen ist – und vielleicht darf sich nur Liebe nennen, was im reinigenden Feuer der Erwartung von aller Schlacke befreit wurde –, gibt den Beteiligten auf, Wunder zu vollbringen. In einem bestimmten Alter – und Judit und ich waren damals nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt, wir waren eine Frau und ein Mann, im vollen, schicksalhaften Sinn des Wortes – erhofft man im Bett vom anderen nicht die Lust, nicht das Glück und die Ekstase, sondern die schlichte, ernste Wahrheit, die bis dahin auch in den Momenten der Liebe von Lüge und Eitelkeit verdeckt war, nämlich daß wir Menschen sind, Mann und Frau, und daß wir auf Erden einen gemeinsamen Auftrag haben, eine gemeinsame Aufgabe, die vielleicht gar nicht so individuell ist, wie wir angenommen haben. Diese Aufgabe läßt sich nicht umgehen, aber durchaus mit Lügen anfüllen. Wenn man alt genug ist, sucht man in allem die Wahrheit, also auch im Bett, im physischen Bereich der Liebe. Es ist nicht wichtig, daß der andere schön sei – nach einer Weile sieht man seine Schönheit nicht mehr –, auch nicht, daß er irgendwie großartig, aufregend, klug, eingeweiht, neugierig, begehrlich und großzügig sei. Was dann wichtig ist? … Die Wahrheit. So wie in der Literatur und in allen menschlichen Belangen: die Spontaneität, die Freiwilligkeit, die Bereitschaft, sich selbst ohne Ziel und Absicht mit dem wunderbaren Geschenk der Freude zu überraschen; und gleichzeitig, auch wenn man egoistisch ist und etwas bekommen möchte, daß man plan- und ehrgeizlos zu geben bereit ist, gewissermaßen zerstreut und nebenbei. Das ist die Wahrheit, wenn man vom Bett spricht. Nein, mein Alter, in der Liebe gibt es keine Vier- und Fünfjahrespläne. Das Gefühl, das zwei Menschen zueinandertreibt, kennt kein Programm. Das Bett ist eine Wildnis, ein Urwald, voller Überraschungen und Unberechenbarkeiten, aufgeheizt wie die Luft des Dschungels, durchsetzt mit dem Duft merkwürdiger Blumen, durchschlungen von Lianen und voll von wilden Tieren, die glutäugig im Halbdunkel lauern, ewig sprungbereit, in Gestalt von Begehren und Leidenschaft. So kann man das Bett auch verstehen. Dschungel. Dämmerlicht. Seltsame Stimmen aus der Entfernung – man weiß nicht, schreit ein Mensch, dem an der Quelle ein Tier die Kehle durchbeißt, oder schreit die Natur selbst, die gleichzeitig menschliche, tierische und grausame Natur? Diese Frau kannte die Geheimnisse des Lebens, des Körpers, der Selbstbewußtheit und der Selbstverlorenheit. Für sie war die Liebe nicht eine Reihe von gelegentlichen Zusammenkünften, sondern eine ständige Rückkehr in eine vertraute Kindheit, die gleichzeitig ein Ort und ein Fest ist, rotbraune Dämmerung über einer Landschaft, der vertraute Geschmack von Speisen, Aufregung und Erwartung, und unter alldem die Gewißheit, daß man später, wenn man nach Hause geht, keine Angst zu haben braucht vor den Fledermäusen, man geht nach Hause, weil es dunkelt und man vom Spielen müde ist, und zu Hause brennt die Lampe, es warten warme Speisen und ein Bett. Das war die Liebe für Judit.
    Wie gesagt, ich hoffte.
    Doch die Hoffnung ist nichts als die Angst vor dem allzusehr Ersehnten, dem man nicht ganz vertraut, an das man nicht wirklich glaubt. Man hofft ja nicht auf das, was vorhanden ist. Das ist einfach da, mehr oder weniger zufällig. Wir verreisten für ein paar Wochen. Kamen dann zurück und mieteten ein Haus am Stadtrand. Das war nicht meine Idee, sondern die von Judit. Ich hätte sie selbstverständlich auch »in Gesellschaft« mitgenommen, wenn sie es gewünscht hätte, jedenfalls hätte ich nach intelligenten Leuten Ausschau gehalten, die keine Snobs waren und in all dem, was geschehen war, doch etwas mehr sahen als nur Klatschfutter. Denn die »Gesellschaft«, jene andere Welt, deren ebenbürtiges Mitglied ich kurz zuvor gewesen war, so wie Judit ein Dienstmädchen, betrachtete die Ereignisse natürlich mit großem Interesse. Die Gesellschaft lebt ja ausschließlich von solchen Dingen, wird geradezu elektrisiert davon, die Augen beginnen zu glänzen, und von morgens bis abends laufen die Telephondrähte heiß. Niemand wäre überrascht gewesen, wenn auch die Leitartikel der Zeitungen unseren »Fall« behandelt hätten, der bald wie eine Straftat durchgehechelt wurde. Wer weiß, womöglich hatten sie recht,

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