Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
schaffen und vernichten, denn das ist ihre Aufgabe. Sie ist unbarmherzig, weil sie einen Plan hat, und gleichgültig, weil der Plan über den Menschen hinausgeht. Die Natur hat den Menschen mit der Leidenschaft beschenkt, aber sie verlangt, daß diese Leidenschaft unbedingt sei.
In jedem Leben, das diesen Namen verdient, kommt ein Augenblick, da man sich in eine Leidenschaft stürzt, als wäre sie der Niagarafall. Natürlich ohne Rettungsring. Ich glaube nicht an die Liebschaften, die wie ein Ausflug zur Maienzeit beginnen, mit Rucksack und frohem Gesang im sonnendurchfluteten Wald. Du weißt doch, jenes überhitzte Festtagsgefühl, das die meisten Beziehungen zu Anfang durchströmt. Eine suspekte Sache. Die Leidenschaft ist kein Fest. Diese ernste Kraft, die fortwährend die Welt erschafft und vernichtet, erwartet von denen, die sie berührt, keine Antwort, sie will nicht wissen, ob es ihnen gefällt, kümmert sich nicht groß um die relativen menschlichen Gefühle. Sie gibt das Ganze und verlangt das Ganze: die unbedingte Leidenschaftlichkeit, deren tiefste Strömung nichts anderes als Tod und Leben sind. Anders kann man die Leidenschaft nicht kennenlernen, und nur wenige gelangen je an diesen Punkt. Die Menschen kitzeln und streicheln einander im Bett, lügen einander etwas vor und sind künstlich gefühlvoll, nehmen sich vom anderen, was ihnen gefällt, und werfen ihnen, wenn’s hochkommt, ein paar Brocken der eigenen Lust hin. Und sie wissen nicht, daß das alles nicht Leidenschaft ist. Es ist kein Zufall, daß die großen Liebespaare der Geschichte mit der gleichen etwas erschrockenen Ehrfurcht betrachtet werden wie die Helden, die großen Draufgänger, die um einer erhabenen, hoffnungslosen Angelegenheit willen ihre Haut zu Markte getragen haben. Ja, die wahren Liebenden tragen ebenfalls ihre Haut zu Markte, im wirklichen Sinn des Wortes, und dieses Unternehmen, bei dem die Frau gleich schöpferisch ist wie der Mann, ebenso heldenhaft und ritterlich wie einer, der zur Eroberung des Heiligen Grabes aufbricht. Tapfere, echte Liebende suchen ebenfalls dieses rätselhafte Heilige Grab, um dessentwillen sie umherziehen und kämpfen, verwundet werden und sterben.
Was für einen anderen Sinn hätte die endgültige, unbedingte Hingabe, mit der sich die wahren Leidenschaftlichen suchen. Das Leben manifestiert sich voll und ganz in dieser Kraft und wendet sich danach gleichgültig von seinen Opfern ab. Zu aller Zeit und in allen Religionen wurden die Liebenden deshalb verehrt: weil sie im Augenblick, da sie einander in die Arme sinken, auf den Scheiterhaufen steigen. Die Richtigen, weißt du. Die Tapferen, die Auserwählten. Die anderen brauchen die Frau bloß als Arbeitstier oder als Bestätigung ihrer männlichen Eitelkeit, oder sie meinen, sie müßten einem Naturgesetz Genüge tun. Das ist nicht Liebe. Hinter jeder echten Umarmung steht der Tod mit seinen Schatten, die nicht weniger ausgefüllt sind als die Lichtstrahlen der Freude. Hinter jedem echten Kuß steht der Wunsch nach Vernichtung, nach jenem letzten Glücksgefühl, das nicht mehr feilscht, sondern weiß, daß Glück auch Aufhebung bedeutet und vollkommene Hingabe. Ein Gefühl, das kein Ziel hat. Und so werden die Liebenden in alten Religionen und alten Heldenliedern verehrt. In der Tiefe des menschlichen Bewußtseins lebt die Erinnerung an eine Liebe, die einst mehr und anderes war als eine gesellschaftliche Konvention, und auch anderes als Zeitvertreib und vergnügliches Spiel wie Bridge oder Gesellschaftstanz. Es gibt die Erinnerung, daß einst jedes Lebewesen eine schreckliche Aufgabe hatte, nämlich die Liebe, also den vollständigen Ausdruck des Lebens, das Daseinsgefühl mit allen Konsequenzen, bis hin zur Vernichtung. Doch das erfährt man erst sehr spät. Und wie gleichgültig sind dann Tugend, Moral, Schönheit und Güte des Auserwählten. Lieben heißt die Freude voll und ganz kennen und dann zugrunde gehen. Aber so viele Menschen erhoffen von ihren Geliebten nichts als Hilfe und Mitleid, Zärtlichkeit, Geduld, Verstehen, Gekuschel. Und sie wissen nicht, daß das alles wertlos ist, daß nur sie selbst geben können, bedingungslos, denn das ist der Sinn dieses Spiels.
Auf diese Art begann die Liebe zwischen Judit Áldozó und mir, als wir in einem Haus am Stadtrand unser gemeinsames Leben aufnahmen.
Jedenfall begann es für mich so. Das waren meine Gefühle. Das hoffte ich. Ich arbeitete noch im Büro, aber der Betrieb ging mich kaum mehr
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