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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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nicht genügen, damit er, der Tote, einem auf der Straße entgegenkommt und einem zulächelt. Und wenn man sämtliche Erdteile mit einem Heer erobert, hilft es auch nichts. Da beginnt man zu schreien. Oder nicht einmal das. Man bleibt auf der Straße stehen, mit blutleerem Kopf, und spürt einen solchen Mangel, als hätte die Welt ihren Sinn verloren, als wäre man allein auf der Welt.
    Und die Eifersucht. Was bedeutet sie? Was steckt dahinter? Eitelkeit natürlich. Der menschliche Körper besteht zu siebzig Prozent aus Flüssigkeiten, und nur die restlichen dreißig Prozent sind feste Materie, der Körper, der Mensch. Entsprechend besteht der menschliche Charakter zu siebzig Prozent aus Eifersucht, den Rest teilen sich Sehnsucht, Großzügigkeit, Angst vor dem Tod, Anstand. Wenn man verliebt ist, spaziert man mit blutunterlaufenen Augen durch die Stadt, denn man fürchtet, eine Frau, die genauso eitel, sehnsüchtig, einsam und glücksbeflissen ist wie alle anderen unglückseligen Geschöpfe, könnte irgendwo für eine Stunde in den Armen eines anderen Mannes ruhen, und man will nicht etwa den Körper und die Seele der Frau vor irgendeiner Schmach oder Schande bewahren, sondern die eigene Eitelkeit, daß sie ja nicht angekratzt werde. Judit hatte mir gesagt, daß sie die Geliebte des griechischen Gesangslehrers war, und ich hatte höflich genickt, als fände ich das in bester Ordnung, und hatte dann das Thema gewechselt. Und tatsächlich hatte ich in dem Augenblick nichts gefühlt. Viel später, als wir schon geschieden waren und ich schon wußte, daß sie auch noch von anderen geliebt worden war, als ich schon allein lebte, kam mir eines Nachmittags der griechische Gesangslehrer in den Sinn, und ich stöhnte vor Wut und Verzweiflung. Die bringe ich um, Judit und ihren Gesangslehrer, wenn ich sie irgendwo erwische. Ich litt wie ein angeschossenes Wild, weil eine Frau, die mich nichts mehr anging, deren Gesellschaft ich mied, nachdem wir in jeder Hinsicht voreinander gescheitert waren, irgendeinmal etwas mit einem Mann gehabt hatte, an den sie sich wahrscheinlich nur noch vage erinnerte. Doch damals, als sie es mir sagte, fühlte ich nichts. Schälte einen Apfel und blickte so höflich und verständnisvoll vor mich hin, als hätte ich genau diese Nachricht erwartet und sei froh, sie jetzt zu hören.
    So lernten wir uns kennen.
    Dann hatte sich Judit an den Dingen gesättigt, die ihr mein Geld bieten konnte, gesättigt wie ein gieriges Kind, bis zum Überdruß. Jetzt kam etwas anderes: die Enttäuschung und die Gleichgültigkeit. Eines Tages war sie gekränkt, nicht von mir, nicht von der Welt, sondern von der Tatsache, daß man nicht ungestraft mit seinen Begierden um die Wette läuft. Ich erfuhr, daß ihre Familie zu Hause auf dem Bauernhof so unwahrscheinlich, so unmöglich und unanständig arm gewesen war, wie es eine tendenziöse Literatur ausmalen könnte. Sie besaßen ein Häuschen und ein paar Morgen Land, das Land aber ging für die Kinder und die Schulden drauf. So daß nichts mehr blieb als die Hütte und ein Garten. Hier lebten der Vater, die Mutter und eine gelähmte Schwester. Die anderen Kinder verstreuten sich in alle Winde, aber Mädchen wie Jungen blieben Mägde und Knechte. Judit sprach unsentimental, mit kühler Sachlichkeit von ihrer Kindheit. Es verging eine geraume Weile, bis sie die Armut erwähnte. Aber nie im Sinn einer Anklage – dafür war sie zu sehr Frau, also klug und beschlagen, was die wichtigen Fragen des Lebens betrifft. Man hadert wegen Armut, Krankheit und Tod nicht mit dem Schicksal, sondern akzeptiert und erträgt es. Judit stellte also nur fest. Sagte, sie hätten einen Winter lang unterirdisch gelebt. Judit war da ungefähr sechs Jahre alt, und der Hunger hatte die Familie von zu Hause vertrieben, sie waren als Melonenpflücker in die Nyírség gegangen und wohnten unter der Erde. Nicht im übertragenen, sondern im wahren Sinn des Wortes: Sie gruben ein großes Loch, deckten es mit Schilf zu und wohnten dort den ganzen Winter über. Sie erzählte auch – in allen Einzelheiten, offensichtlich war diese Kindheitserinnerung sehr wichtig –, daß in jenem Winter unbarmherziger Frost geherrscht habe, so daß die Kälte Tausende von Feldmäusen in das Loch hineintrieb, das Judit mit ihrer Familie bewohnte. »Das war sehr unangenehm«, sagte sie versonnen, aber ohne einen klagenden Unterton.
    Weißt du, da saß mir diese wunderschöne Frau gegenüber, in dem luxuriösen Restaurant,

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