Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
schwieg sie wieder so seltsam. Wie jemand, der ins Weite blickt, sich erinnert. Dieses Schweigen rührte mich. Sie war mit mir zusammen, wann immer ich es wollte, und benahm sich dann wie der ertappte Dieb, so unterwürfig, so beschämt und reuig. Ich beschloß, ihr nie mehr etwas zu sagen, sie nicht mehr zu ermahnen. Schließlich spielte Geld keine Rolle, ich war damals noch reich, aber es spielte auch aus einem anderen Grund keine Rolle: Da wußte ich schon, daß ich das Geld, ob nun alles oder nur einen Teil, umsonst retten würde, wenn ich dafür mich selbst verlor. Denn auch ich lebte in jenen Monaten in großer Gefahr. Alle drei befanden wir uns in Lebensgefahr, Judit und meine Frau und ich. Im ganz schlichten Sinn des Wortes: Alles, woran wir uns festgehalten hatten, war eingestürzt, unser Leben war eine einzige Überschwemmung, und die schmutzigen Fluten hatten alles mitgerissen, die Erinnerungen, die Sicherheit, das Zuhause. Von Zeit zu Zeit hoben wir den Kopf aus dem Wasser und suchten mit den Augen das Ufer. Es war aber nirgends in Sicht. Schließlich muß im Leben alles eine Form haben, sogar die Revolte. Am Ende ergießt sich alles in die große Banalität des Lebens. Was hatte da mein Geld noch für eine Bedeutung? Mochte es doch mit allem anderen davonschwimmen, mit der Ruhe, den Sehnsüchten, der Selbstachtung, der Eitelkeit. Eines Tages wird alles ganz einfach. Deshalb mahnte ich Judit nicht mehr, was immer sie tat. Eine Zeitlang hielt sie ihre krankhafte Einkaufssucht im Zaum und beobachtete mich erschrocken, ganz so wie das Dienstmädchen, das man beim Naschen, bei einer Veruntreuung oder beim Verschwenden ertappt hat.
Ich gab ihr also alles, mit einer einzigen Geste. Und so begann das Herumlaufen in der Stadt von neuem, zu den Schneiderinnen, Antiquitätenhändlern und Modistinnen. Wart mal, mir tut der Kopf weh. Herr Ober, ein Glas Wasser. Und ein Pyramidon. Danke.
Jetzt, da ich davon spreche, ist mir wieder schwindlig. Wie wenn man sich über einen Wasserfall beugt. Und nirgends ein Geländer, nirgends eine Hand, die sich nach einem ausstreckt. Nur das Wasser rauscht, und die Tiefe lockt, und plötzlich spürt man jenen beängstigenden, hinunterziehenden Schwindel. Und man weiß, daß man alle seine Kräfte brauchen wird, wenn man noch umkehren, noch davonkommen will. Denn es liegt an einem selbst, und ein Schritt rückwärts würde genügen. Ein Wort. Ein Brief. Eine Handlung. Unten rauscht das Wasser. So ein Gefühl ist das.
Das ist mir in den Sinn gekommen, und jetzt habe ich Kopfschmerzen. Sehe bestimmte Momente jener Zeit deutlich vor mir. Zum Beispiel, als sie mir sagte, daß sie in London die Geliebte eines griechischen Gesangslehrers gewesen war. Gegen Ende ihres Aufenthalts, als ihr Entschluß schon feststand, nach Hause zu kommen. Doch zuvor hatte sie Kleider, Schuhe, elegante Koffer haben wollen. Der griechische Gesangslehrer hatte ihr das alles gekauft. Dann war sie nach Hause gereist, in der Nähe des Bahnhofs abgestiegen, hatte den Hörer in die Hand genommen und »Hello« gesagt …
Wie diese Nachricht auf mich wirkte? Ich will ehrlich sein. Ich erinnere mich, gehe in mich, prüfe die Erinnerung und kann nur antworten: gar nicht. Man versteht die wahre Bedeutung der menschlichen Handlungen und Beziehungen nur mit Mühe. Zum Beispiel stirbt jemand, und man versteht es nicht. Er ist schon beerdigt, und noch immer fühlt man nichts. Man trägt in der Öffentlichkeit Trauer und starrt mit feierlichem Ernst vor sich hin, zu Hause aber gähnt man, kratzt sich an der Nase, liest ein Buch, denkt an alles andere als an den Toten, um den man Trauer trägt. Nach außen lebt man in einem bestimmten Zustand, ernst und würdig, innerlich aber wird man erstaunt gewahr, daß man gar nichts spürt, höchstens eine Art schuldbewußter Befriedigung und Erleichterung. Und Gleichgültigkeit, tiefe Gleichgültigkeit. Das geht eine Weile so, Tage oder sogar Monate. Man macht der Welt etwas vor und lebt in heimlicher Gleichgültigkeit. Und dann, viel später, ein Jahr danach, da dem Toten bereits die Nase abgefallen ist, geht man auf der Straße, und es schwindelt einem, und man muß sich gegen eine Wand lehnen, weil man versteht. Was? Nun, das Gefühl, das einen mit dem Toten verbunden hat. Die Bedeutung des Todes. Die Tatsache, daß man alles aus der Erde herauskratzen kann, was von ihm noch übrig ist, und doch nie mehr sein Lächeln sehen wird, daß die ganze Weisheit und alle Macht der Welt
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