Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Museum mit den Gebrauchsgegenständen und Kleidern einer vergangenen Zeit. Mir wurde es ganz eng ums Herz, als ich zum erstenmal dieses Zimmer betrat. Es war im Frühling, und ich sollte hier reinemachen. Der Linoleumfußboden roch noch immer säuerlich nach den Desinfektionsmitteln, mit dem alles hier, in diesem hygienischen Verschlag, übergossen wurde, einst, als hier ein Kind gelebt und gespielt und über Bauchweh geklagt hatte. An die weiße Wand hatte ein Künstler bunte Bilder gemalt, Tiere, Märchenfiguren, Schneewittchen und die sieben Zwerge. Die Möbel waren hellgrün gestrichen, ein Kunstwerk von einem Kinderbett, ein Wunder von einer Kinderwaage, und ringsum an den Wänden Regale mit phänomenalen Spielsachen, Teddybären, Bauklötzen, elektrischen Eisenbahnen, Bilderbüchern, alles in krampfhafter Ordnung wie in einer Ausstellung.
Es wurde mir, wie gesagt, ganz eng ums Herz, als ich das alles erblickte, und ich beeilte mich, das Fenster zu öffnen, den Rolladen hochzuziehen, um Luft zu bekommen. Ich kann gar nicht sagen, was ich fühlte, als ich zum erstenmal das Zimmer betrat, in dem mein Mann ein Kind gewesen war. Ich schwör’s dir, ich dachte nicht an die Grube meiner Kindheit. So schlecht war es dort gar nicht gewesen, na ja, gut auch nicht. Es war etwas anderes, wie alles Wirkliche. Die Grube war wirklich gewesen. Die Armut ist für ein Kind nicht so, wie es sich die Erwachsenen vorstellen, die nie richtig arm gewesen sind. Für ein Kind hat die Armut immer auch ihre lustigen Seiten, sie bedeutet nicht nur Elend. Einem Kind ist auch der Dreck recht, in dem man toben und sich wälzen kann. Und man braucht sich die Hände nicht zu waschen, wozu auch. Nur für die Erwachsenen ist die Armut schlimm, sehr sogar. Schlimmer als alles, als die Räude oder die Diphtherie. Als ich in dem Zimmer stand, beneidete ich meinen Mann nicht. Er tat mir eher leid, weil er als Kind in diesem sterilen Raum hatte wohnen müssen. Ich spürte, daß ein Mensch, den man hier und auf diese Art erzogen hatte, kein vollständiger, ganzer Mensch sein konnte. Sondern nur etwas Menschenähnliches. Das war mein Gefühl.
Es war ja auch so perfekt, dieses Kinderzimmer. Konnte gar nicht perfekter sein. Auch eine vollständige Sammlung. Irgendwo in ihrer Seele hatten sie wahrscheinlich auch die Sammlung der fixen Ideen, hübsch in Naphthalin eingelegt. Denn von allem hatten sie mehr als nötig, zwei Autos, zwei Grammophone, in der Küche zwei Eismaschinen, mehrere Radios, mehrere Ferngläser, nämlich einen Gucker im Etui, mit dem sie ins Theater gingen, wunderschön emailliert, dann einen Feldstecher für die Pferderennen und einen, den sie sich umhängten, wenn sie an Deck eines Ozeandampfers den Sonnenuntergang bewunderten. Mag sein, daß sie auch noch einen Extragucker hatten, um die Bergeshöhen anzustaunen, und einen für den Morgen und einen für den Abend und einen für den Vogelflug. Die kauften alles, damit die Vollständigkeit noch vollständiger wurde.
Sie wurden zwar vom Diener rasiert, aber mein Mann hatte im Bad auch ein halbes Dutzend Handrasierer, die neuesten und allerneuesten Modelle. Und in einer Wildlederhülle noch eine Menge Rasiermesser schwedischer, amerikanischer und englischer Herkunft, obwohl er sich nie mit dem Messer rasierte. Und das gleiche mit dem Feuerzeug. Mein Mann kaufte sich eins nach dem andern, warf sie dann in eine Schublade, wo sie vor sich hin rosteten, denn am liebsten benutzte er gewöhnliche Streichhölzer. Eines Tages kam er mit einem elektrischen Rasierapparat nach Hause, aber auch den rührte er danach nicht mehr an. Wenn er fürs Grammophon Schallplatten kaufte, mußte es immer eine Serie sein, sämtliche Werke eines großen Komponisten, den ganzen Wagner oder den ganzen Bach, in allen Einspielungen. Darauf kam es an, daß der ganze, vollständige Bach im Schrank stand, verstehst du?
Und die Bücher. Der Buchhändler wartete gar nicht ab, daß sie sich zu einem Kauf entschlossen, sondern sandte ihnen alle neuen Bücher ins Haus, von denen er annehmen konnte, daß sie vielleicht einmal darin blätterten. Der Diener hatte den Auftrag, die Seiten aufzuschneiden und die Bücher dann ungelesen auf die Regale zu stellen. Sie lasen zwar schon, klar lasen sie. Der Alte las Fachbücher und Reisebeschreibungen. Mein Mann war sehr gebildet, der las sogar Gedichte. Doch die vielen Bücher, die ihnen der Buchhändler unter dem Vorwand der Höflichkeit andrehte, hätte kein Mensch lesen
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