Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Leben. Die Gläubigen haben eine Riesenangst vor dem Tod, die klammern sich an alles, was die Religionen versprechen, weil sie glauben, daß es nach dem Tod ein Leben und eine Vergeltung gibt. Der Künstlerartige hingegen hatte keine Angst. Er hat gesagt, falls es Gott gibt, könne der nicht so grausam sein, den Menschen ein ewiges Leben zu geben. Ja klar, die spinnen alle, diese sogenannten Künstler. Doch die Bürger hatten Angst vor dem Tod, so wie vor dem Leben auch. Deshalb waren sie gläubig und sparsam und maßvoll. Weil sie Angst hatten.
Ich sehe dir an, daß du das nicht verstehst. Sie verstanden es vielleicht mit dem Kopf, aber mit dem Herzen verstanden sie es auch nicht. Ihre Herzen waren in einer ewigen Unruhe. Sie hatten Angst, daß die ganze Rechnerei und Planerei und Ordnerei nichts nützte, daß eines Tages etwas zu Ende sein würde. Was? Die Familie? Die Fabrik? Das Vermögen? Nein, diese Leute wußten schon, daß ihre Angst nicht so einfach war. Sie hatten Angst, sie würden eines Tages ermüden und das Ganze nicht mehr zusammenhalten. Du weißt, wie der Mechaniker hier gesagt hat, als wir ihm unsere alte Klappermühle brachten, damit er nachsah, was nicht stimmte. Weißt du noch, er hat gesagt, der Wagen fahre schon, der Motor sei nicht kaputt, bloß sei da eine Materialermüdung. Davor hatte sie Angst, meine Herrschaft, vor einer Materialermüdung, daß sie das Ganze nicht mehr zusammenhalten könnten und es dann mit ihrer Kultur vorbei wäre.
Na, jetzt höre ich auf. Das hätte sowieso kein Ende. Denk dir doch, was die in ihren Schubladen und Panzerschränken, wo sie Dokumente und Aktien und den Schmuck aufbewahrten, sonst noch für Geheimnisse hatten. Du zuckst mit den Schultern? Aber mein Lieber, Süßer, die Dinge verhalten sich nicht so, wie wir Proleten das glauben. Die Reichen sind sehr seltsam. Wahrscheinlich haben sie auch in ihrer Seele ein Fach, wo sie etwas aufbewahren. Den Schlüssel zu diesem unsichtbaren Safe hätte ich gern gestohlen, hätte gern gesehen, was da drin ist. Die Reichen sind irgendwie auch dann noch reich, wenn man ihnen alles genommen hat. Ich habe nach der Belagerung die Reichen gesehen, wie sie aus den Kellern heraufkrochen, hier die Christen, dort die Juden, die irgendwie mit heiler Haut davongekommen waren, und alle bis aufs Hemd ausgeplündert, ihre Häuser zerbombt, ihre Geschäfte ruiniert, vom Krieg und von dem, was nachher kam, also diese total heruntergekommenen Reichen wohnten nach einigen Monaten wieder in Villen, und die Frauen saßen im Blaufuchs und mit Blumen am Ausschnitt im Gerbeaud. Wie sie das machten? Keine Ahnung. Aber sicher ist, daß sie so lebten wie vor dem Krieg. Genau so, mit all den Ansprüchen, was das Essen und die Kleider betrifft. Und als der erste Zug ins Ausland fuhr und sie von der russischen Platzkommandantur die Erlaubnis zum Reisen bekommen hatten, da beklagten sie sich, daß im Schlafwagen, der sie zum Einkaufen nach Zürich oder nach Paris brachte, nur noch das obere Bett frei war. Verstehst du? Offenbar ist das Reichsein ein Zustand wie die Gesundheit oder die Krankheit. Entweder jemand ist reich, und dann ist er es komischerweise immer, oder er ist es nicht, und dann mag er Geld haben wie Heu, er ist doch kein echter Reicher. Man muß, scheint es, auch daran glauben, daß man wirklich reich ist. So wie die Heiligen oder die Revolutionäre daran glauben, daß sie anders sind. Und man muß ohne Gewissensbisse reich sein, sonst geht es nicht. Der falsche Reiche, der augenverdrehend an die Armen denkt, wenn er Beefsteak ißt und Champagner trinkt, wird am Schluß den kürzeren ziehen, denn er ist nicht ehrlich und aus voller Überzeugung reich, sondern feige und duckmäuserisch. Man muß unerbittlich reich sein. Man kann wohltätig sein, aber das ist bloß ein Feigenblatt. Hör zu, mein Schatz. Ich hoffe, daß du, wenn ich eines Tages nicht mehr sein werde und du eine triffst, der mehr Schmuck geblieben ist als mir, daß du dann nicht sentimental sein wirst. Sei mir nicht böse. Ich sage, was ich denke. Gib mir dein Künstlerhändchen, daß ich es mir ans Herz drücke. Spürst du es? Es schlägt für dich, den Proleten. Na siehst du.
Es genügt, daß ich ein kluges Mädchen war und den Reichtum bald in- und auswendig gelernt hatte. Ich war lange Dienstmädchen bei ihnen und habe das Geheimnis erfahren. Dann habe ich sie aber eines Tages sitzenlassen, weil mir die Warterei verleidet war. Worauf ich wartete? Na eben, daß mein
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