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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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schaust du mich an? Ja, klar, ich bin auch nervös, nicht nur die Herrschaft. Und ich bin es nicht erst unter ihnen geworden. Ich war es schon zu Hause, in der Grube, oder was immer ich zu Hause nennen soll. Wenn ich die Wörter »Zuhause« oder »Familie« ausspreche, sehe ich nichts, sondern rieche nur etwas. Den Geruch von Erde, Schlamm, Mäusen und Menschen. Und über allem einen anderen Geruch, der auch über meiner halb tierischen, halb menschlichen Kindheit schwebte, der vom Regen nasse, nach Pilzen riechende Wald, der Geschmack des Sonnenlichts in der hellblauen Luft, ein Geschmack, wie wenn man einen Metallgegenstand mit der Zungenspitze berührt. Ich war ein nervöses Kind, ich gebe es ja zu. Auch wir können es sein, nicht nur die Reichen.
    Aber ich will dir vom Ende erzählen, vom Augenblick, als ich meinen Mann zum letztenmal gesehen habe. Denn so genau, wie ich weiß, daß ich jetzt im Morgengrauen hier mit dir in einem Hotelzimmer sitze, weiß ich auch, daß ich ihn da zum letztenmal gesehen habe.
    Wart mal, trinken wir jetzt keinen Cognac mehr. Besser einen Kaffee. Komm, leg mir die Hand aufs Herz. Ja, es klopft stark. Tut es immer in der Morgenfrühe. Aber jetzt nicht wegen des Kaffees und der Zigaretten und auch nicht, weil ich mit dir zusammen bin. Es klopft so stark, weil mir jener Augenblick eingefallen ist.
    Glaub bloß nicht, es sei wegen der Sehnsucht. In diesem Herzklopfen ist nichts so Kinomäßiges. Ich habe ja schon gesagt, daß ich ihn nie geliebt habe. Es gab eine Zeit, da ich in ihn verliebt war, aber nur so lange, wie ich nicht mit ihm lebte. Beides zusammen geht nicht, weißt du.
    Dann ist alles so gekommen, wie ich es in meinem verrückten, verliebten Kopf ausgedacht hatte. Die alte Frau starb, ich ging nach London. Zeig mal das andere Bild da. Na, das war ein Grieche, wie er im Buche steht. Er unterrichtete Gesang, in Soho. Ein großer Schlawiner, der seine feurigen dunklen Augen so wunderbar verdrehen, der so wunderbar flüstern und schwören und ekstatisch schielen konnte wie hier in der Oper der neapolitanische Tenor, den wir letzthin gesehen haben.
    Ich war damals in London sehr allein. Weißt du, in dieser englischen Steinwüste ist alles so unbarmherzig groß. Auch die Langeweile ist unbarmherzig. Nur haben die Engländer ihre Art von Langweile gelernt, sie verstehen sich darauf. Ich war als Dienstmädchen gekommen. Doch in dem Haus in London, wo ich eine Anstellung fand – damals war ausländisches Personal in London so gefragt wie früher die Mohrensklaven … es gibt eine alte Stadt, Liverpool, von der man sagt, sie sei auf Negerschädeln gebaut –, na ja, jedenfalls hielt ich es in dem großen Haus nicht lange aus, denn in London ist es was ganz anderes, Dienstmädchen zu sein, als bei uns zu Hause. Besser, aber auch schlechter. Nicht die Arbeit. Daß man auch dort arbeiten mußte, störte mich nicht. Ihre Sprache konnte ich nur radebrechen, das war schon ein größeres Problem. Aber am meisten bedrückte mich, daß ich in dem Haus gar nicht Dienstmädchen war, sondern ein Apparat. Und nicht etwa ein englischer Haushaltsapparat, sondern ein Apparat in einem Großbetrieb, wo sie sich mit Import beschäftigten. Ich war eine Importware. Und obendrein war ich gar nicht bei einer richtigen englischen Familie in Anstellung, sondern bei reichen Einwanderern, Juden aus Deutschland. Sie waren vor Hitler nach England geflohen, der Hausherr war Fabrikant von dicker Baumwollunterwäsche, die er der Armee verkaufte. Er war so gründlich ein deutscher Jude, daß er mindestens so deutsch wie jüdisch war. Er trug das Haar unten ausrasiert, und ich glaube – ich bin nicht ganz sicher, aber es kann sein –, daß er sich von einem Chirurgen Schmisse ins Gesicht hatte applizieren lassen, um so schneidig auszusehen wie ein deutscher Korpsstudent. So kam es mir jedenfalls vor, wenn ich mir hin und wieder ein bißchen sein Gesicht anguckte.
    Aber es waren anständige Leute, und sie spielten so krampfhaft und begeistert die Engländer, wie es die echten Engländer damals nicht mehr konnten und auch gar nicht mochten. Wir lebten in einem der grünen Stadtviertel in einem schönen Haus. Die Herrschaften waren zu viert, wir, das Personal, zu fünft plus eine Zugehfrau. Ich war die Türöffnerin. Es gab einen Diener und eine Köchin, wie zu Hause. Und auch ein Küchenmädchen und einen Chauffeur. Das alles fand ich in Ordnung. In den alten englischen Familien gab es damals kein so

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