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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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zeremoniöses Personal mehr. Die großen Häuser waren verkauft und umgebaut worden, und nur in den wenigen Familien, wo man noch die herrschaftlichen Gebräuche pflegte, hielt man sich die vorgeschriebene Anzahl von Angestellten. Das Küchenmädchen hätte niemals einen Handgriff von meinen Pflichten übernommen. Und der Diener hätte sich eher die Hände abgehackt, als der Köchin zu helfen. Wir waren alle nur auf eine Arbeit eingestellt und tickten vor uns hin. Und weißt du, was das Beunruhigende war? Daß ich nie wußte, in welchem Gehäuse wir so tickten, in welchem Mechanismus. War es eine feine Schweizer Uhr, oder war es eine Höllenmaschine? Da war etwas Unheimliches in dieser vornehmen, stillen englischen Lebensart. Weißt du, auch die lächelten die ganze Zeit, wie in den englischen Kriminalromanen, wo sich der Mörder und das Opfer gepflegt darüber unterhalten, daß der eine den anderen umzubringen gedenkt. Und dazu lächeln sie. Das war langweilig. Ich ertrug diese geheizte, geschrubbte englische Langeweile schlecht. Und weder in der Küche noch im Salon wußte ich, ob ich an der richtigen Stelle lachte. Im Salon lachte ich selbstverständlich nur innerlich, denn ich durfte ja nicht lachen, wenn sie, die Engländer spielenden Herrschaften, sich Witze erzählten. Aber auch in der Küche wußte ich nie, ob ich an passender Stelle lachte. Denn sie hatten es mit dem Humor. Der Diener war auf ein Witzblatt abonniert, und während des Mittagessens las er die Witze vor, die mir eher plump als lustig vorkamen. Und dann lachten sie alle wie verrückt, die Köchin, der Chauffeur, das Küchenmädchen und der Diener. Und zwischendurch schielten sie zu mir herüber, um zu sehen, ob ich auch lachte, ob ich den tollen englischen Humor verstand.
    Ich begriff aber meistens nur so viel, daß sie mich auf die Schippe nahmen und gar nicht über die Witze lachten, sondern über mich. Denn die Engländer sind fast so unverständlich wie die Reichen. Man muß sehr aufpassen, denn sie lächeln immer, auch wenn sie was ganz Gemeines denken. Und manchmal glotzen sie einen so dumm an, als könnten sie nicht bis drei zählen. Aber sie sind gar nicht dumm, und zählen können sie hervorragend, besonders, wenn sie einen hereinlegen wollen.
    Ich, die Fremde, die weiße Negerin, wurde von den englischen Dienstboten natürlich zutiefst verachtet. Aber vielleicht nicht ganz so sehr, wie sie die eingewanderte Herrschaft, die reichen deutschen Juden, verachteten. Mich verachteten sie barmherzig. Und sie bemitleideten mich vielleicht auch, weil ich die Witze aus dem Punch nicht verstand.
    Ich lebte einfach unter ihnen, so gut es ging. Und wartete, denn was anderes konnte ich nicht tun.
    Worauf ich wartete? Auf den Lohengrin, der eines Tages alles stehen- und liegenläßt, um mich zu holen? Auf den Mann, der damals noch mit einer anderen Frau lebte, mit einer reichen? Ich wußte, daß meine Zeit kommen würde und daß ich nur zu warten brauchte.
    Aber ich wußte auch, daß sich dieser Mann niemals von sich aus rühren würde. Daß ich ihn nach einer Weile würde holen müssen, ihn am Schopf packen und ihn aus seinem Leben herausziehen wie den Erstickenden aus dem Sumpf.
    An einem Sonntagnachmittag lernte ich in Soho den Griechen kennen. Ich habe nie herausbekommen, womit er sich eigentlich beschäftigte. Er sagte, er sei Unternehmer. Er hatte verdächtig viel Geld, hielt sich auch ein Auto, was damals seltener war als heute. Und nachts spielte er in den Clubs Karten. Ich glaube, seine Beschäftigung bestand ganz einfach darin, daß er ein Südländer war. Die Engländer staunten nicht, wenn einer in England davon lebte, daß er Südländer war. Sie lächelten freundlich, nickten mit dem Kopf und wußten alles von uns, den Ausländern. Und sie schwiegen. Jaulten nur kurz auf, wenn jemand ihre sogenannten guten Manieren verletzt hatte. Von denen man nie wirklich wußte, worin sie bestanden.
    Mein Grieche trippelte immer auf einer Grenzlinie zwischen ihnen hindurch. Er wurde nie festgenommen, aber wenn ich mit ihm in einem Lokal oder einem vornehmen Restaurant saß, blickte er immer zur Tür, als erwartete er, daß die Bullen auftauchten. Ja, der spitzte schon die Ohren. Na, steck das Bild wieder an seinen Platz. Was ich von ihm gelernt habe? Singen habe ich gelernt. Er hat entdeckt, daß ich eine Stimme habe. Ja, du hast schon recht, ich habe noch anderes von ihm gelernt. Ach, hör schon auf! Ich sag’s doch, er war ein Südländer.

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