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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sie etwas ansahen oder davon sprachen, daß man da und da noch etwas zu essen bekam. Denn wie die Schiffbrüchigen auf der Insel hatten sie beschlossen, den Schiffbruch zu überleben, koste es, was es wolle, und sei es auch um den Preis der Menschenfresserei. Und so sammelten und horteten sie, was sie gerade fanden.
    Nach der Belagerung habe ich gesehen, was Wirklichkeit ist. Als hätte man mir die Augen gewaltsam geöffnet. Einen Moment lang stockte mir der Atem, so interessant war das, was ich sah.
    Die Häuser auf dem Burghügel brannten noch, als wir aus den Kellern krochen. Die Frauen hatten sich als Greisinnen zurechtgemacht, zerlumpt und schmutzig, weil sie glaubten, so würden sie von den Russen verschont. Aus unseren Kleidern und Körpern strömte der Geruch des Todes, der Leichengeruch der Keller. Hin und wieder ging eine der Bomben hoch, die überall an den Straßenrändern lagen. Ich lief mitten auf der breiten Straße, zwischen Leichen, Schutt, kaputten Panzern und den wackligen Skeletten abgestürzter Jagdflugzeuge. Ich war durch das Krisztina-Stadviertel in Richtung Vérmező unterwegs. Ein bißchen schwankend im vorfrühlingshaften Sonnenschein, im Gefühl, noch zu leben. Aber ich stapfte los wie Tausende von Menschen auch, denn es gab schon eine in aller Eile zusammengetakelte Brücke über die Donau. Eine bucklige Angelegenheit wie der Rücken eines Dromedars. Die Schergen der russischen Militärpolizei hatten links und rechts Leute eingefangen, die dann die Brücke bauen mußten. So konnte man wieder von Buda nach Pest gelangen. Auch ich trabte, so schnell ich konnte, denn ich wollte möglichst rasch in Pest sein. Ich konnte es kaum erwarten. Was? Unsere alte Wohnung wiederzusehen? Keine Spur. Ich will dir sagen, was ich nicht erwarten konnte. Am ersten Morgen, als es wieder eine Brücke gab, eilte ich nach Pest hinüber, weil ich Nagellackentferner kaufen wollte, in der alten Drogerie.
    Was starrst du mich an? Es war genau so, wie ich es dir sage. Buda stand noch in Flammen. In Pest hingen den Häusern die Eingeweide heraus. Doch in den Wochen, in denen wir im Keller eines Budaer Mietshauses faulten, Männer, Frauen und Kinder, alle dreckig, denn Wasser gab es keins, in diesen zwei Wochen quälte mich nichts so sehr, wie daß ich vergessen hatte, den Nagellackentferner mitzunehmen. Als nach dem letzten Sirenengeheul die Belagerung begonnen hatte, war ich mit karmesinroten Fingernägeln in den Keller gestiegen. Und dann saß ich wochenlang mit roten Nägeln dort, bis Buda fiel. Und bis der Lack zum Teil abgesplittert war.
    Denn weißt du, zu jener Zeit hatte ich auch schon rote Nägel wie die Glamourfrauen. Ein Mann versteht das nicht. Die ganze Belagerung hindurch regte es mich tödlich auf, daß ich nicht wußte, wann ich endlich wieder nach Pest hinüberlaufen konnte, in die Drogerie, wo man noch den guten alten Nagellackentferner aus der Friedenszeit bekam.
    Der Seelenforscher, dem ich jedesmal fünfzig Pengő bezahlte, um mich auf seine Couch zu legen, der hätte bestimmt gesagt, daß ich gar nicht den Lack entfernen wollte, sondern den Schmutz meines Lebens von vor der Belagerung. Vielleicht. Jedenfalls wußte ich nur, daß meine Nägel nicht mehr rot, sondern dreckig waren und daß sich das so rasch wie möglich ändern mußte. Deshalb hetzte ich gleich am ersten Tag über die Brücke.
    Als ich in die Straße kam, in der unsere Wohnung gewesen war, lief auf dem Gehsteig eine bekannte Gestalt. Es war der Spengler, ein Alteingesessener in dem Stadtteil, ein anständiger älterer Mann. Wie viele andere hatte auch er sich einen grauen Bart wachsen lassen, um auszusehen wie ein Tattergreis, damit ihn die Russen nicht zur Zwangsarbeit abtransportierten. Der Alte schleppte ein großes Paket. Ich freute mich, als ich ihn erkannte. Und auf einmal hörte ich, wie er einem Schlosser, der auf der anderen Straßenseite in einem Trümmerhaus wohnte, zurief: »Jenő, lauf ins Zentralwarenhaus, da gibt’s noch was zu holen.«
    Und der Schlosser, ein langer, dünner Mensch, rief krächzend und begeistert zurück: »Gut, daß du’s sagst, ich gehe gleich.«
    Ich stand am Rand des Vérmező und blickte ihnen lange nach. Und sah so auch den versoffenen alten Bulgaren, der winters das Holz in die Herrschaftshäuser brachte. Jetzt trat er aus einem Trümmerhaus und hielt sorglich und vorsichtig, so wie der Priester beim feierlichen Umgang das Allerheiligste, einen goldgerahmten Spiegel in die Höhe. Der Spiegel

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