Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
das Thema wechseln konnten, auch wenn etwas gerade schmerzlich aktuell war. Wenn mir das Herz vor Erregung klopfte, weil ich wütend war oder verliebt oder weil sie mich verletzt hatten. Wenn ich ein Unrecht sah und am liebsten vor Empörung geschrien hätte. Da blieben sie ruhig und lächelten. Ich kann es gar nicht mit Worten schildern. Irgendwie kann man das nie, wenn es um die wichtigen Dinge des Lebens geht. Vielleicht vermag es die Musik, ich weiß es nicht. Oder eine liebevolle Berührung. Halt still. Mein anderer Freund da, der hat am Ende nicht ohne Grund immer nur Wörterbücher gelesen. Der suchte ein Wort. Hat es aber nicht gefunden.
Du brauchst also nicht überrascht zu sein, daß ich es auch nicht mit passenden Worten erzählen kann. Ich rede einfach so daher.
Gib mal das Photo. Ja, so hat er ausgesehen, mein Mann, als ich ihn kennenlernte. Als ich ihn zum letztenmal gesehen habe, nach der Belagerung, da war er auch so. Er hatte sich nur so verändert wie ein teurer Gegenstand durch den Gebrauch: war ein bißchen glänzender, glatter, polierter.
Hol’s der Teufel, vielleicht ist es doch besser, ich gebe mir einen Ruck und versuche, die richtigen Worte zu finden. Ich will beim Ende anfangen, dann verstehst du’s vielleicht, auch wenn ich den Anfang weglasse.
Sein Kreuz war es, daß er ein Bürgerlicher war. Für die Roten ist das ein gemeiner, fetter Kerl, der den ganzen Tag auf die Aktienkurse lauert und unterdessen die Arbeiter quält. Auch ich habe mir das irgendwie so vorgestellt, bevor ich in ihre Nähe geriet. Aber später habe ich begriffen, daß dieser ganze Jux mit Klassenkampf und Bürgerlichkeit nicht so läuft, wie man das uns, den Proleten, weismachen wollte.
Dieser Mensch hatte die fixe Idee, daß der Bürgerliche eine Rolle habe in der Welt, nicht nur als Unternehmer oder als Nachahmer von denen, die früher mächtig waren. Er dachte, er als Bürgerlicher würde irgendwie die Welt in Ordnung bringen, die Herren wären dann nicht mehr so sehr Herren, und die Proleten wären nicht mehr so sehr eine Bettlergesellschaft. Er dachte, irgendwie würden alle zu Bürgerlichen, die einen nach unten, die anderen nach oben, solange er, der Bürgerliche, an seinem Platz blieb in einer Welt, in der alles kopfstand. Eines Tages sprach er mich an. Er sagte, er wolle mich, das Dienstmädchen, heiraten.
Ich verstand nicht genau, was er da redete, aber ich haßte ihn in dem Augenblick so, daß ich ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte. Es war Weihnachten, ich kniete vor dem Kamin, um das Feuer anzuzünden. Ich hatte das Gefühl, das sei die größte Beleidigung, die mir je widerfahren war. Der will mich kaufen wie einen seltenen Hund, so fühlte ich. Ich sagte ihm, er solle sich packen.
Na, da hat er mich auch nicht geheiratet. Und später hat er jene feine Dame geheiratet. Sie hatten auch ein Kind, und das ist gestorben. Auch der alte Herr ist gestorben, und das tat mir leid. Nachdem er gestorben war, verwandelte sich das Haus in ein Museum, das hin und wieder besucht wurde. Ich hätte nicht gestaunt, wenn am Sonntagvormittag Schulkinder geklingelt hätten, zwecks Besichtigung der Villa. Mein Mann lebte da mit seiner Frau schon in einem anderen Haus. Sie waren oft auf Reisen. Und ich blieb bei der alten Gnädigen. Die war nicht dumm. Ich fürchtete sie, hatte sie aber auch gern. In ihr flackerte noch etwas vom Wissen der Frauen alter Zeit. Sie kannte Rezepte zur Heilung der Leber oder der Nieren. Sie wußte auch von mir und ihrem Sohn, ohne daß man es ihr zu sagen brauchte. Sie wußte von unserem langen Ringen, so wie nur eine Frau von den Dingen Wind zu bekommen vermag. Wie Radarantennen fangen wir das Geheimnis des Mannes, der uns nahesteht.
So wußte sie, daß ihr Sohn hoffnungslos einsam war, weil die Welt, zu der er mit Haut und Haar gehörte, im Wachzustand, in seinen Träumen und Erinnerungen, ihn nicht mehr schützen konnte. Denn diese Welt war dabei, sich aufzulösen wie die alten Stoffe, die man für nichts mehr gebrauchen kann, weder als Zierdecke noch als Scheuerlappen. Weil ihr Sohn nicht mehr angriff, sondern sich nur noch verteidigte. Und wer das tut, der lebt nicht mehr, der existiert bloß noch. Mit dem Instinkt der vorzeitlichen Jägerin und Sammlerin hatte die alte Frau diese heimliche Gefahr gleich gespürt. Und sie hütete das Geheimnis so, wie man in einer Familie von einer Erbkrankheit weiß, die man nicht erwähnen darf, weil wichtige Interessen es verbieten.
Was
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