Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Vergessen wir den Griechen.
Unterbrich mich nicht. Du weißt ja, daß ich nur den Schluß erzählen will. Den Schluß wovon? Na eben, daß alles umsonst war, weil ich insgeheim meinen Mann haßte. Aber angebetet habe ich ihn auch, wie eine Irre.
Ich habe das in dem Augenblick verstanden, als er mir nach der Belagerung auf einer Brücke entgegenkam. Wie einfach das klingt. Jetzt habe ich es ausgesprochen, und siehst du, es passiert nichts. Du liegst hier in Rom im Hotelzimmer im Bett, wir paffen amerikanische Zigaretten, in der türkischen Kanne duftet der Kaffee, es wird allmählich hell, du stützt dich auf einen Unterarm und schaust mich an. Dein prachtvolles Brillantinehaar fällt dir in die Stirn. Und du wartest darauf, daß ich weiter erzähle. So wundersam wandelt sich alles im Leben. Also, ich ging nach der Belagerung über die Brücke, und da kam mir auf einmal mein Mann entgegen. Das ist alles. So einfach ist das.
Jetzt, wo ich es ausgesprochen habe, staune ich selbst, was alles in einem Satz Platz hat. Zum Beispiel sagt man »nach der Belagerung«. Das sagt man einfach so, obwohl es in Wirklichkeit nicht ganz so einfach war. Du mußt wissen, daß es damals, gegen Ende Februar, in Transdanubien noch krachte und polterte. Es war noch Krieg, Dörfer und Städte brannten, Menschen kamen um. Doch in Pest und Buda lebten wir schon beinahe so, wie man in einer Stadt eben lebt. Na ja, wir lebten auch so wie vor Urzeiten die Nomaden oder wie die Zigeuner. Gegen Mitte Februar war auch noch der letzte Nazi aus Pest und Buda rausgeprügelt worden, und dann entfernte sich die Front mit leiser werdendem Dröhnen, jeden Tag hörte man den Donner von weiter weg. Die Leute krochen aus den Kellern heraus.
Du in deinem friedlichen Zala hast natürlich glauben können, wir, die in Budapest steckengeblieben waren, seien alle durchgedreht. Du hast schon recht, wenn jemand von außen sah, was in jenen Wochen und Monaten nach der Belagerung geschah, dann mußte er so was denken. Wie hätte er nachvollziehen können, was wir fühlten, was wir redeten, nachdem wir aus dieser Hölle auferstanden waren. Aus der Schande und dem Schrecken. Aus dem Gestank, in dem wir wochenlang geschmort hatten. Wir krochen aus dem Dreck hervor, aus dem Dunst ungewaschener Körper, aus der Unreinheit aufeinandergepferchter Leiber. Es verwirrt sich vieles, wenn ich an diese Zeit denke. Weißt du, wie wenn ein Film reißt, auf einmal ist ein Loch in der Geschichte, und die Zuschauer zwinkern geblendet vor dem grell zuckenden Weiß der Leinwand.
Die Häuser rauchten noch, als wäre ganz Buda, das ganze alte Stadtviertel, die Burg, das Zierstück der Stadt, ein einziger Scheiterhaufen. Ich selbst war in Buda an dem Tag. Die Belagerung hatte ich nicht in meinem Keller durchgemacht, denn das Haus hatte schon im Sommer einen Treffer abbekommen. Ich war in ein Hotel in Buda umgezogen, und später, als die russischen Truppen schon die ganze Stadt umzingelt hatten, ging ich zu einem Bekannten und wohnte dort. Was für ein Bekannter? Frag mich jetzt nicht aus. Ich erzähle es dann schon, der Reihe nach.
Damals war es nicht schwer, in Budapest eine Unterkunft zu finden. Alle schliefen möglichst nicht zu Hause, sondern irgendwo auswärts. Auch Leute, die ruhigen Gewissens zu Hause hätten bleiben können, aber da war so ein unwirkliches Gefühl, man spürte, daß der große Karneval bald zu Ende war, und so spielten alle, daß sie Angst hatten, daß sie sich verstecken mußten, als wäre irgendwer speziell hinter ihnen her. Alle schienen sich verkleidet zu haben. Als nähme eine ganze Gesellschaft an einem Hexensabbat teil.
Als hätte sich, man könnte es auch so sagen, diese Gesellschaft mit dem vielen Alkohol vollaufen lassen, den die Nazis in den Kellern, in den Lagern der großen Hotels und Restaurants gefunden und dann zurückgelassen hatten, weil sie Leine ziehen mußten, Richtung Westen. Es war so, wie man es von den großen Flugzeug- oder Schiffsunfällen sagt, wenn es die Reisenden auf eine unbewohnte Insel oder auf einen Berggipfel verschlägt, und es vergehen drei Tage, vier Tage, und die Vorräte schwinden. Und die Leute, bessere Damen und Herren, beginnen einander prüfend anzuschauen, um zu sehen, in wen man hineinbeißen könnte. So wie in dem Film, wo der kleine Schauspieler, der Chaplin, in Alaska von einem mordsgroßen Goldgräber umhergejagt wird, weil der das kleine Männchen fressen will. Es war etwas Irres im Blick der Menschen, wenn
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