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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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uns. Der Ureinwohner zog befriedigt ab, das Silberbesteck unter dem Arm.
    Der Beamte, der Bulgare, der Spengler und der Schlosser, sie alle arbeiteten in eigener Regie, weißt du, wie die Leute, die man später die Privaten nannte. Sie hatten sich ausgedacht, sie würden schon mal retten, was den Nazis und den Pfeilkreuzlern und den Russen und den heimlich wieder aufgetauchten einheimischen Kommunisten entgangen war. Sie hielten es für eine patriotische Pflicht, die Hände auf alles Greifbare zu legen, und so begannen sie eben zu »retten«. Und retteten nicht nur das Eigene, sondern auch den Besitz von anderen Leuten. Von diesen Rettern wimmelte es nicht gerade, aber sie fielen durch ihren Fleiß auf. Und wir anderen neun oder mehr Millionen, das sogenannte Volk, nicht wahr, wir sahen eine Weile in einer Art Benommenheit zu, wie die da im Namen des Volkes alles zusammenstahlen. Zuvor hatten schon die Pfeilkreuzler wochenlang ihre Raubzüge gemacht. Es war wie eine Epidemie. Den Juden hatte man alles geraubt, die Wohnung, den Grundbesitz, das Geschäft, die Fabrik, die Apotheke, dann die Arbeit und schließlich das Leben. Das war keine Amateurarbeit, sondern ein Großunternehmen. Dann kamen die Russen. Auch die arbeiteten sich systematisch durch, von Haus zu Haus und von Wohnung zu Wohnung. Und mit ihnen kamen scharenweise die einheimischen Kommunisten, die in Moskau ausgebildet worden waren und wußten, wie man ein Volk bis aufs Mark aussaugt. Das Volk, das Volk. Weißt du, was das ist? Du und ich, waren wir das Volk? Denn jetzt, da fortwährend alles im Namen des Volkes geschieht, hat das Volk langsam genug. Ich weiß noch, wie verblüfft ich war, als mein Mann und ich einmal zur Erntezeit auf einem Landgut Ferien machten und das Bübchen des Hauses, ein blondgelocktes Herrensöhnchen, hereingerannt kam und begeistert schrie: »Mami, stell dir vor, die Mähmaschine hat einem Völkler die Finger abgeschnitten.« Wir lächelten, Kindermund, sagten wir nachsichtig. Aber jetzt, da alle Volk sind, sowohl die Herrschaft als auch wir anderen? Damals, in jenen Wochen, als die Kommunisten kamen und es Experten gab, die nicht einfach stahlen, sondern, wie sie sagten, die soziale Gerechtigkeit wiederherstellten, da fühlten wir uns, die Herrschaft und wir anderen, einander nahe wie noch nie. Weißt du, was soziale Gerechtigkeit ist? Das Volk wußte es nicht. Das glotzte nur erstaunt, als die Fortschrittlichen die neuen Gesetze brachten und erklärten, daß das, was dir gehört, nicht wirklich dir gehört, weil alles dem Staat gehört. Das verstanden wir nicht. Vielleicht verachtete das Volk nicht einmal die räuberischen Russen so sehr wie die emsigen Gerechtigkeitswiederhersteller, die da ein altes Gemälde, dort eine Spitzensammlung oder die Goldzähne eines unbekannten Großvaters retteten. Im Namen des Volkes. Man konnte nur staunen und angewidert ausspucken.
    Na, jetzt habe ich mich heißgeredet. Gib mir das Kölnischwasser, ich will mir die Stirn befeuchten.
    Du hast dich in deiner Provinz geduckt und also nicht wissen können, wie damals das Leben in Budapest war. Es gab noch gar nichts, und doch begann die Stadt, auf das Pfeifsignal eines Dämons oder einer Fee, auf einmal zu leben, wie im Märchen, wenn der böse Zauberer sich in Rauch auflöst und die gebannten, scheintoten Menschen sich wieder regen. Plötzlich tickt die Uhr wieder, und die Quelle rauscht. Der böse Geist, der Krieg, war verraucht, das Ungeheuer nach Westen gestampft. Und was von einer Stadt und einer Gesellschaft übrig war, begann mit heftiger, hartnäckiger Freude, mit zäher Schlauheit zu leben, als wäre nichts geschehen. In den Wochen, als es in Budapest keine einzige Brücke gab, fuhren die Leute mit Booten über die Donau, so wie in alter Zeit. Doch in den Tordurchgängen der Boulevards bekam man schon allerlei Eßwaren zu kaufen, auch Toilettenartikel, Kleider, Schuhe, alles, was du willst. Napoleon-Goldmünzen, Morphium, Schweinefett. Die Juden kamen aus ihren sternbeschmierten Häusern getaumelt, und ein, zwei Wochen später konnte man in Budapest, zwischen noch nicht abtransportierten Leichen und Pferdekadavern, in den Trümmern eingestürzter Häuser schon wieder um feine englische Stoffe, französisches Parfum, holländischen Schnaps und Schweizer Uhren feilschen. Ein einziges Anbieten und Handeln und Rufen. Die Juden waren mit den russischen Lastwagenfahrern im Geschäft, die aus allen Ecken des Landes die Waren brachten. Auch die

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